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Die Welt läuft Amok

Magnifico, fantastique, atembenemend, glorious, einfach überwältigend - Die Welt ringt nach Superlativen um das zu beschreiben, was das jüngste deutsche WM seit 1934, im Viertelfinale auf den Rasen von Kapstadt gezaubert hat. Aber  vergeblich, denn die Ereignisse vom 4:0 über gedemütigte Argentinier bleiben unbeschreiblich. Noch nie wurde ein Team von solcher Reputation und Qualität in einem Pflichtspiel dermaßen auseinander genommen. Schon längst sind historische Vergleiche nicht mehr möglich, denn keine Nationalelf zuvor hat jemals diese Leichtigkeit, diese Raffinesse, diese Klugheit, diese Effizienz gepaart mit unbändigem Willen, Disziplin, Kampfkraft und Spielfreude kombinieren können. Keine! Selbst die Weltmeister von 1990 waren nicht in der Lage so leichtfüßig und in solch einer Vielzahl Chancen zu kreieren und zu verwerten. Und über allem stehen diese herrlichen Tore und dieses bescheidene, sympathische Auftreten eines echten Teams. Maßgeblich dafür ist...

 

...die Wandlung des unglaublichen Herrn S.

Es gab Zeiten, in denen er mir gehörig auf die Nerven ging. Seine angetäuschten Finten waren ebenso sinnlos wie sein Erscheinungsbild peinlich war. Und sein Arsch war definitiv voller reingeblasenem Zucker, da musste man Uli Hoeneß ausnahmsweise mal beipflichten. In dieser "grauen Phase" (als er sein Haar weiß gefärbt trug) wusste man nicht, ob er mehr den Tauben im Park ähnelte oder den Omis, die diese füttern. Doch solche Zeiten sind längst passé. Heute ist Bastian Schweinsteiger der Maximo Leader der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ein Allesspieler, der seit 2004 inzwischen 79 Einsätze und 21 Tore im DFB-Trikot  zu verbuchen hat. Der Münchener verdient sich bei dieser WM das Prädikat Weltklasse und ist auf dem besten Wege ein echtes Idol und einer der ganz Großen seiner Zunft zu werden - und das mit gerade einmal 25 Jahren! Am Samstag wurde er mehrmals brutal in die Horizontale gegrätscht. Biß sich kurz auf die Zunge, schüttelte sich und stand ohne zu jammern wieder auf, wie ein echter Champion. Nur etwas fehlt noch zu seinem Glück:  Für seine enorme Leistungsbereitschaft und Spielkunst sollte er mit dem Siegtor im Finale, das uns zum Weltmeister macht, belohnt werden.

 

Triumph des Mannes, den sie Jogi nannten

Mea culpa! Was habe ich an Joachim Löw rumgemäkelt. In den vergangenen zwei Jahren konnte er in meinen Augen gar nichts recht machen. Ob Kuranyi-Verbannung, die schlimmen Auftritte in Freundschaftsspielen, der badische Idiom oder die seltsame Garderobe mit Seidenschal bei bestem Wetter on top, ich habe ihm das alles verübelt. Das war ein großer Fehler! Und ich möchte mich dafür öffentlich entschuldigen, denn er und sein Team haben großes vollbracht. Ihr Masterplan, wie auch immer der ausgesehen haben mag, ist aufgegangen. Und ich hätte keine Sekunde mit der Wimper gezuckt, wenn die ZDF-Enthüllungsjournalistin, Michael Steinbrecher, ihn mit Maestro begrüßt hätte, so wie es ein Reporter aus Montevideo bei Uruguays Coach Oscar Tabárez gemacht hat.  Im Gegenteil: ich hätte es goutiert! Denn es sind doch immer wieder die beiden Bundesligaeichhörnchen, Klose und Podolski, die sich unter Jogis Fittichen in rasende Löwen verwandeln und die Spiele entscheiden.  Er hat ihnen vertraut als alle gezweifelt haben. Das war ganz stark. Jetzt sind Miro und Lukas die wahren Weltstars. Warum will die keiner der Schuldenklubs aus Mailand, Madrid und Manchester haben? Miro Klose fehlen nur noch 2 Tore bis zur Unsterblichkeit. Dann wäre er bester WM-Torjäger aller Zeiten. Schon jetzt hat er den unvergleichlichen Gerd Müller eingeholt. Vor wenigen Wochen hätte das noch jede Vorstellungskraft gesprengt. Und dabei hat Klose sogar noch 1,5 Spiele verpasst. Aber selbst wenn dem gebürtigen Polen dies nicht gelingen und nach zwei abschließenden Niederlagen nur Platz vier herausspringen sollte, sind wir dank Jogi längst schon Weltmeister der Herzen und diesen Titel kann uns keiner mehr nehmen. Aber wir alle wollen doch mehr. Ganz ehrlich: wenn wir nach diesen Machtdemonstrationen modernen Fußballs und jugendlicher Erhabenheit nicht "das Ding" holen, dann wird Enttäuschung bleiben, denn der Punkt ist erreicht, an dem kein anderes Land Weltmeister werden darf. Denn dann hätte nicht das Gute gesiegt: Deutschland! Aber soweit ist es noch nicht. Und wenn Jogi den Titel holt, dann wird ihn Udo Jürgens 2018 mit einem kleinen Liedchen in den Ruhestand verabschieden: "Der Mann, mit dem Schal, geht nach Haus"! Ach, wenn Helmut Schön das noch erleben könnte...

 

Emotionen statt Konzepte

Lionel Messi hat dann doch nicht seinen großen Worten die angekündigten Taten in Form von zwei Toren folgen lassen. Da waren Arne Friedrich, dem man von Herzen sein erstes Länderspieltor gönnt, und der wiedererstarkte Per Mertesacker vor. Auch ansonsten haben uns die Gauchos weder im noch nach dem Spiel so richtig weh getan und so kann ich Argentinien weiter lieben. Dabei hatte mein Sohn schon Schlimmstes befürchtet: "Wann prügeln sich denn die Argentinier?", hat er immer wieder gefragt. Und weiter: "Die Fans hauen doch nur die deutschen, die die Tore geschossen haben, oder?" Das klang schon fast so als hätte er Angst um seine eigene Haut gehabt. Ich hätte mich nicht mit den Bildern der dritten Halbzeit vom Viertelfinale 2006 hochputschen dürfen. Das war zuviel für die kleine Kinderseele. Apropos Kinder: Diego Maradona hatte es geschafft sein Team dermaßen zu emotionalisieren, dass es schien, als könnte sie niemand auf dem Weg zu ihrem drittel Titel aufhalten. Und sie haben das dummerweise selbst geglaubt und dabei den Blick für die Realität verloren. Und in dieser Realität verfügen sie nunmal über eine maximal  durchschnittliche Abwehrformation. Die Argentinier haben nahezu die identischen Fehler begangen wie die Engländer. Löws Mannen haben dies erkannt und gnadenlos ausgenutzt. Vier hochgejazzte Offensivstars, die nicht nach hinten arbeiten, dadurch entstanden gewaltige Freiräume im Mittefeld, in denen wir unser Spiel aufziehen konnten. Glück für uns, dass die Ein-Mann-Mauer, Walter Samuel, nicht zur Verfügung stand und Diego aus unerklärlichen Gründen auf Mittelfeldmotor Juan Sebastian Veron verzichtet hat. Hier hat der Coach handwerkliche Fehler begangen, die aber seiner gottgleichen Verehrung in seiner Heimat nichts anhaben können. Ich verehre Gabriel Heintze, der zwar kein begnadeter Kicker, aber mit einem formidablen Haarschopf gesegnet ist. Wenn nach Maradonnas Rücktritt, die ihn schützende Hand Gottes wegfällt, dann wird der Sohn einer deutschen Mutter wohl nicht mehr für die albiceleste auflaufen. Eine Zweitkarriere als L'òreal-Stu-Stu-Studioline-Model scheint aber in jedem Fall sicher.

 

Flieg, mein Deutschland. Flieg!

Deutschland fliegt in sein 13.tes Semifinale! Mit jungenhaften, kraftvollen Flügeln segelt es durch die WM, wie das selbst tollkühnste Träumer nicht erträumen konnten. Eine derart fulminante Woche hat es in der DFB-Geschichte bislang nicht gegeben. Noch ist nicht ausgemacht, dass die fliegenden Deutschen mit dem Weltpokal zu Hause landen werden. Im Halbfinale warten die Spanier, die aber noch längst nicht die Spanier der Euro 2008 sind und hoffentlich auch nicht mehr werden.  Allerdings steht zu befürchten, dass die Iberer aus den Fehlern der vorherigen deutschen Opfer  lernen und uns das Leben sehr schwer machen werden. Aber es muss die Revanche für die Schmach  von Wien geben, dem 2008er EM-Finale, in dem wir keine Chance gegen Torres & Co. hatten.  Und wenn wir weiter zum Titel fliegen, wird es nie ein besseres Deutschland gegeben haben und auch kein besseres Leben. Man muss nicht mehr an die gute alte Zeit zurückdenken sondern kann und darf sich endlich an der Gegenwart erfreuen und auf die Zukunft hoffen, denn unsere junge Elf ist mehr als nur ein Versprechen für viele schöne Feste. Doch selbst wenn diese deutsche Mannschaft noch scheitert, wird sie in Erinnerung bleiben als fulminantes Feuerwerk des Fußballsports, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat, belegbar nicht zuletzt durch ein  sensationelles Torverhältnis von 13:2.

 

 

Tag(s) : #Dirki bloggt die WM-EM
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