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Dirki (re.) wartet noch auf's EM-Fieber

Dirki (re.) wartet noch auf's EM-Fieber

17. Juni 2016

Die Fussballeuropameisterschaft 2016 in Frankreich hat kaum begonnen, da wünsche ich mir schon fast wieder, dass sie vorbei wäre...

Irgendwas ist anders. Nur was? Früher war ich bei jedem Turnier so unglaublich heiß wie Frittenfett. Elektrisiert wie ein Fön in der Badewanne. Stand jeden zweiten Sommer total unter Strom und habe wirklich alles in mich aufgesogen was die populistische Unterhaltungsindustrie Fussball ausgespuckt hat.

Doch bei der EM 2016 ist meine unbegründete und sinnfreie Besessenheit verschwunden. Auf der nach oben offenen Dirki-Begeisterungsskala herrscht gähnende Leere. Hier geben sich die Spinnweben die Klinke in die Hand. Mir ist nur noch nicht ganz klar ob ich die EURO stattdessen mit Gelassenheit oder Desinteresse betrachte. Letzteres kann es eigentlich nicht sein, denn zumindest bei den bisherigen Deutschland-Spielen haben sich schon wieder maximale Verkrampfungen eigenstellt und für meine Handinnenflächenschweißwerte bin ich weltberühmt. Ach, man kann auch auf wenig stolz sein.

Aber sonst? Rumänien – Schweiz, Kroatien – Türkei, Slowakei – Russland? Haben die überhaupt schon gegeneinander gespielt? Ist Dänemark schon im Turnier drin und was ist mit Australien? Beim ESC waren die dabei. Ich weiß es wirklich nicht. Eingeschaltet habe ich jedenfalls nur sporadisch. Viele sagen, das sei ganz normal und läge am (eher langweiligen) Modus mit lediglich acht Teams, die nach der Vorrunde direkt ausscheiden. Aber ich denke es liegt an mir. Ich bin Weltmeister. Das war alles was ich sein wollte. Einmal nicht gegen Spanien oder Italien versagen sondern die ganz große Nummer abziehen: Frankreich, Brasilien, Argentinien! Diese Teams haben zusammen neun WM-Siege errungen! Bäääm, wir haben sie rasiert, damals in Südamerika. Das reicht eigentlich fürs Leben.

2014 habe ich daraufhin sogar kurzfristig meinen Frieden mit dem Nivea-Mann gemacht. Inzwischen ist das allerdings obsolet. Mittlerweile ist die gegenseitige Abneigung monströser als jemals zuvor. Dennoch bleibt weiterhin rätselhaft warum ich nicht mit jeder Faser, nicht mit vollem Körpereinsatz in diese EM eingetaucht bin. Es fühlt sich eben nicht echt, nicht gut an. Diese EM ist noch nicht bei den Leuten und in der Mitte des Lebens angekommen. Der dargebotene ist noch nicht authentisch. Er wirkt irgendwie abgestanden, wie aufgewärmte Spaghettis. Die sind auch – bitte jetzt weghören Mama – einfach ungenießbar.

Vielleicht kommt das ja noch, aber bislang reibe ich mich vor allem an dem, wovon ich schon mehr als genug habe und was ich garantiert nicht mehr ertragen kann. Bevor es überhaupt so richtig losgeht, ist bei mir schon Übersättigung und Gereiztheit an allen Fronten eingetreten.

An erster Stelle meiner Hassliste stehen natürlich wild gewordene, traktorförmige Horden von brandschatzenden Hooliganidioten. Aber das ist einfach, das ist gesellschaftlicher Weltkonsens, außer vielleicht bei irgendwelchen russischen Nazi-Claqueren, die es begrüßen wenn Nicht-russische Kiefer brechen. Ich verzichte drauf. Schleicht‘s Euch! Auf Nimmerwiedersehen, Goodbye und Arrividerci!

Ich steh auch nicht auf Reichskriegsfahnen. Weder in meinem Vorgarten noch in Lille. Die Affen, die damit posiert haben, gehören dringend zurück in ihre Käfige. Einen weiteren Daniel Nivel werden wir nicht verkraften können. Mindestens ebenso verkommen sind aber die Sitten bei den notgeilen Sensationsreportern vom Schlage eines Uli Klose (RTL), die durch jeder Gasse hecheln auf der Suche nach brutalen Bildern mit denen sie dem abgestumpften TV-Publikum daheim Betroffenheit vorgaukeln können. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Ölaugen nicht sogar die Hooligans anstacheln und die Gewalt befeuern würden. Das sich die Gewalttäter der willfährigen Presse aber auch Plattformen wie youtube bedienen um ihre eingebildete Stärke und ihre Testosterondramen in die Welt zu transportieren, dürfte unstrittig sein.

Und wo wir schon mal beim Themenkomplex Gewalt, Verrohung von Sitten und allgemeiner Respektlosigkeit sind – geht mir bitte weg mit allen pickligen Nerds, mit denen keiner spielen wollte, die in ihrem versifften Einzimmer-Appartement in ihrer stinkenden Joggingbux zwischen ranzigen Pizzakartons vor sich hinvegetieren, die keiner kennt und mag und die dann irgendwann durchdrehen, ihren Frust und ihre Hirnamputationen an unschuldigen Menschen auslassen, sich anschließend zum sogenannten IS bekennen, der davon nur nichts weiß und wahrscheinlich auch nichts wissen will. Fahrt bitte zur Hölle, Ihr Schwachköpfe dieser Welt – SOFORT!

Kommen wir zur multimedialen Berichterstattung: First of all - Ich will keine neuen EM-Lieder, vor allem keine deutschen. Die Zeiten von genialen Klassikern wie Olé, Espana (Michael Schanze), Far away in America (Village People) oder Football is coming home (Baddiel & Skinner) sind ohnehin unwiederbringlich vorbei.

Und ich benötige keine epischen Vorberichte mehr. Filmchen, auf denen von oben zu erahnen ist, wie sich irgendwelche Mannschaftsbusse den Weg von A nach B bahnen, sind so much 90s und absolut nicht-oscarreif. Bitte liebe Programmverantwortlichen, stellt die 24/7-Dauerberieselung ein, dadurch wird das Spiel selbst wieder unschuldiger, aber auch wertvoller.

Ich mag keine gruseligen ARD-ZDF-Experten mehr sehen. Holger Stanislawski am Touch-Screen, Sparkassenazubiene Simone Rolfes als Enthüllungs-Field-Reporterin, dazu die unvermeidliche KMH? Oder Peter Großmann, der „Witzbold“ vom MoMa? Der ist mir der größte Dorn im Auge. Das alles ist äußerst unbefriedigend. Bitte foltert mich nicht noch mehr. Da hilft auch kein neumodisches Packing weiter. Diese Zombies lassen sich nicht so leicht aus dem Spiel nehmen. Ausklammern von jeglicher Kritik muss man bekanntlich Oliver Welke. Der Mann ist einfach ein Hochgenuss. Und sein Sidekick Oliver Kahn zeigt sich erstaunlich formverbessert. Wie er den Schmierbatz Ronaldo abgefönt hat, war ganz ziemlich erregend. Aber die Erkenntnis, dass ich fortan nun vielleicht den Ex-KSC- und Bayern Keeper lieb haben könnte, ist eigentlich die schlimmste von allen.

Bitte belästigt mich auch nicht weiter mit unkomischen „Comedians“, die ihr Stück vom ergiebigen EM-Kuchen abhaben wollen und auf allen Kanälen nerven. Hier werden kabarettistische Tiefen ausgelotet, das ist a Wahnsinn. Karl Valentin würde sich im Grabe umdrehen. Und Sepp Maier gleich mit.

Und zu später Stunde treibt ja auch wieder der Untote Reinhold Beckmann mit seiner „Sportschule“ sein Unwesen, in die er zum heiteren Seniorentreff lädt. So einen Stumpfsinn hat es auf öffentlich-rechtlichen Sendern noch nicht gegeben. Und das will was heißen. Malente und die Gebührenzahler können einem leidtun. Zum Glück pflege ich traditionell zu Beginn der zweiten Halbzeit des Abendspiels einzuschlummern. So habe ich einen natürlichen Schutzmechanismus gegen derlei groben Unfug entwickelt. Aber aus Neugier nach dem Shitstorm auf SPON, 11Freunde & Co habe ich mir mal eine Folge aus der Mediathek gefischt. Was soll ich sagen? Wer Thomas Berthold noch als Experten für irgendwas außer Doofheit ansieht, der ist ohnehin rettungslos verloren und der nicht nur scheinbar verrückte Christoph Daum hat längst seinen Jagdschein in der Tasche.

Ergänzt und verschlimmert wird der ganze Irrsinn in der Social-Media-Welt, die keine Sekunde still steht und in der jeder seinen Senf zu allem abgibt, was auch nur ganz im Entferntesten mit Fussball zu tun haben könnte. Da zeigt sich die Kehrseite der Entwicklung in den letzten 25 Jahren, in der dieser Sport in unvergleichlichem Ausmaß an Bedeutung, Überhitzung und Ausbeutung zugelegt hat. Für die echten Fans ein Graus. Ein Tag im „Netz“ und ich bin ein nervliches Wrack. Die ewig gleichen, sich im Kreis drehenden Diskussionen um nachbarschaftliche Qualitäten. Boateng ist für mich ein ganz normaler Held aus Berlin. Punkt. Thema erledigt. Hätte ganz schnell gehen können. Dauerte aber Minimum 14 Tage. Unerträglich ist der ganze Multi-Kulti-Diskussionsbrei, gepaart mit dem Gezeter um eine Nationalhymnenmitsingpflicht. Am Ende schalten sich noch die Jung-Grünen aus Rheinland-Pfalz ein und halten DE-Fahnen für gefährlichen Populismus und fordern deren umgehendes Schwenkverbot! Ja, hackt es denn bei Euch? Kümmert Euch doch bitte wieder um den heimischen Feldhamster, da habt Ihr genug zu tun. Mir reicht‘s, ich klinke mich hier elegant und rigoros aus. Meine Meinung: Kein Fahnenverbot, aber auch keine Fahnenpflicht – jeder wie er mag. Zumindest solange es keine Reichskriegsflaggen sind.

Ich will mir auch auf facebook, Twitter und Co nicht von denjenigen, die den Fussball entweder erst beim Sommermärchen, als Eventie-Trittbrettfahrer des unangenehmen FC Bayern München oder als Stubenhocker an der PlaySi entdeckt haben, erklären lassen, wo das Bällchen langzulaufen hat. Bitte bleibt in Euren umzäunten Fanauslaufzonen. Dass die Mannschaft viel zu behäbig und langsam spielt, von einem total unfähigen Trainer teilweise auf das falsche Personal gesetzt und der Ball zu lange im Niemandsland zirkuliert wird, statt ihn einfach dorthin durchzustechen, wo er dem sportlichen Gegner größtmögliche Schmerzen bereitet, das erkenne ich alles selber. Wenn ich aber Schmähkritik an der Mannschaft von den Schweinchen Schlaus lesen muss oder die Presse mit „Stotterstart gegen die Ukraine“ und ähnlichem Nonstop Nonsens aufmacht, dann mache ich zu wie einst Lothars Wade. Da ist er wieder der Selbstschutz. Noch funktioniert er.

So langsam gehen mir die negativen Superlative aus, aber einige Punkte habe ich noch, bei denen meine Hassspirale Fahrt aufnimmt: Da sind zum Beispiel die enervierenden und ermüdenden Transfergerüchte, die fragwürdige Internetportale wahrscheinlich ungeprüft hinausposauen: „Verliert Schalke sein Juwel?“ „Hat Guardiola Sane an der Angel?“ „Was läuft da mit Kroos und Juventus?“ Was für ein Graus? Lasst den Leroy doch erst mal auf Schalke ein Großer werden. Dann kann man in ein paar Jahren immer noch weitersehen. Diese chronische Unzufriedenheit auf Spieler- und Beraterseite und andererseits die permanente Sensationsgier der Medien richten alles zugrunde.

Ich will nicht lesen, dass irgendjemand den nächsten Schritt machen will oder welche faszinierenden „Projekte“ es in der Fussballwelt angeblich gibt. Sorry, aber dabei muss ich abkotzen und komme mir verkackeiert vor. Ich möchte höchstens lesen, dass Deutschland als Team vor dem finalen Schritt steht. Das wäre dann mal eine gute Nachricht.

So viel zur Theorie. Wenn man es einmal selber ins Stadion geschafft hat, dann ist man noch keineswegs im Paradies. Wer glaubt, er kann sich hier dem schwindelerregenden Schwachsinn entziehen, der ist falsch gewickelt. Die Dauerberieselung mit Rummelplatz-Techno oder Pitbull durch den Stadion-DJ macht einen völlig fertig. Und dann hüpft noch so ein unwürdiger Animationsclown aus der Kiste und zwingt unschuldige Fans sich für die Kiss-Cams zu küssen - für alle sichtbar auf der Stadion-Leinwand. Da kriege ich regelrechte Panikattacken.

Mir geht es nur um den Sport und das Geschehen auf dem Platz und dabei stören mich nicht nur erniedrigende Kirmeseinlagen sondern auch ein sich seit Beginn seiner Amtszeit ständig in den Mittelpunkt drängender Bundestrainer, der es nicht lassen kann, die Öffentlichkeit an seinen widerlichen Popel- und Schnüffelleien oder Manikür-Orgien teilhaben zu lassen. Bei den schrecklichen Bildern vom Löw’schen Griff in die eigene Hose hat die UEFA ja wohl beim von ihr produzierten Weltbild komplett versagt. Wo ist die Zensur, wenn man sie wirklich braucht? Warum benimmt sich dieser Herr wie ein Rübenschwein in der Provence? Und in dem Zusammenhang ist auch klar, dass ich keine EM-Würste brauche und erst Recht keine badischen Würstschen.

In der Summe gingen mir die Dinge noch nie so auf den Sack wie bei der Euro 2016 in Frankreich. Der galoppierende Wahnsinn scheint unaufhaltsam. Doch niemand wird auf die Idee kommen das Drumherum abzuschaffen. Kermit (der Frosch) hatte Recht – die Welt hat sich verändert. Ich fordere trotzdem: Macht bitte sofort Schluss mit den Unzurechnungsfähigkeiten und besinnt Euch auf die Elemente, die den Fussball zum beliebtesten Sport haben aufsteigen lassen.

Ich brauche nur Fussball pur – reinen Fussball. Im Stadion sitzen und das Spiel der Deutschen Mannschaft lesen, genießen und hoffentlich viele Erfolge in Schwarz-Rot-Gold bejubeln dürfen. Das ist es, worauf es mir ankommt. Gut gemachtes Beiwerk will ich natürlich nicht verteufeln. Aber bitte alles mit Sachverstand und Augenmaß. Ich will einem Fussball huldigen, der so rein und unschuldig ist, wie ein Gemälde der jungen Brigitte Bardot. Mit demselben Feuer und der kochenden Leidenschaft, die die französische Aktrice auszeichneten. Ohne Tricks, Unfairness und doppelten Boden. Sagt mir bitte nicht, dass es das nicht mehr gibt. Ich brauche meine Illusionen um zu leben.

So viel dazu

Tag(s) : #Dirki bloggt die WM-EM
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