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Christian Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fussball Liga (DFL), erschien zum Krisengespräch im Aktuellen Sportstudio bei Moderator Jochen Breyer, der mit der Frage „Wie gut ist die Bundesliga eigentlich?“ den Manager direkt ganz unverblümt ins Tackling zwang. Dass Seifert, der hochprofessionelle Chefverkäufer der Ware Fussball, dabei ins Straucheln geraten würde, war allerdings nicht zu erwarten. Vielmehr bot sich ihm dadurch die dankbare Gelegenheit, den Status Quo der Bundesliga schönzureden, und damit nicht zuletzt die Vorzüge und Errungenschaften seiner eigenen Arbeit lobzupreisen. Jedoch lohnte es sich dann doch genauer hinzuhören, denn bei Seifert birgt ja nicht nur jeder Nebensatz Sprengkraft, sondern auch das, was er nicht sagt, kann die deutsche Fussballwelt in ihren Grundfesten erschüttern.

Unbestreitbar sind die nackten Resultate ernüchternd. Innerhalb von nur drei Tagen (26.-28.09.) legte die deutsche Eliteliga auf kontinentaler Bühne eine katastrophale Bilanz vor: Sechs deutsche Klubs kassierten sechs Niederlagen! In der Fünfjahreswertung der UEFA ist die Bundesliga binnen eines Spieltags von Rang zwei auf vier abgerutscht. In der bisherigen Saisonwertung wird das Land des Weltmeisters sogar nur auf Platz 26 gelistet, hinter Aserbaidschan, Mazedonien und Slowenien. Also Ländern, die die K.o.-Runden der europäischen Wettbewerbe nur vom Hörensagen kennen. Erschreckend! In der Europa League blamieren sich die deutschen Vertreter seit vielen Jahren mit unschöner Regelmäßigkeit. Das ist also nicht neu. Umso mehr stellt sich die Frage, warum die Klubs erst so viel investieren um auf europäischem Parkett mittanzen zu dürfen, um dann, wenn die Musik aufspielt, an Europas fußballerischen Leichtmatrosen zu scheitern?

Liegt es an der plötzlich anstehenden und scheinbar doch viele überfordernden Doppel- oder Dreifachbelastung durch das europäische Geschäft, wie sie nicht zuletzt die betroffenen Kluboberen monieren? Als Lösung fällt den Trainern der deutschen Teilnehmer oft nichts anderes ein als die Rotationsmaschine anzuschmeißen, um Stammkräfte für das Kerngeschäft Bundesliga zu schonen. Mit der fatalen Konsequenz, dass sich No-Name-Teams aus Östersund und Rasgrad deutsche Skalps ans Revers heften können. Das ist so paradox. Der Verlierer in diesem Teufelskreis ist dann stets der deutsche Fussball. In Zeiten, in denen die zu Kapitalgesellschaften umgewuchteten „Klubs“ vermehrt internationale Märkte erobern möchten, die weltweite Vermarktung künftig eine noch zentralere Rolle spielen wird, beschädigt man durch Alibivorstellungen in der EuroLeague die eigene Marke. Das ist extrem unprofessionell.

So vielfältig die Gründe (und die Ausreden) dafür auch sein mögen – die Bundesliga kann mit der internationalen Konkurrenz derzeit nicht mithalten. Das ist die bittere Erkenntnis des Septembers 2017.

Das ZDF-Publikum erwartete vom DFL-Geschäftsführer Antworten auf die eingangs gestellte Frage und musste sich mit einer Mischung aus Schönrednerei, Platitüden, Andeutungen und halbgaren Warnungen zufriedengeben. Hier Christian Seiferts Aussagen zu diesem Themenkomplex im Einzelnen:

Der Ligachef wünscht sich eine „spannende Bundesligasaison.“ Dagegen ist nichts einzuwenden. Mit diesem Bedürfnis steht er auch sicherlich nicht alleine, zumal er davon ausgeht, dass es sich um einen realistischen Wunsch handelt:

„Momentan sieht es so aus als wäre sie an der Spitze etwas spannender als in den letzten Saisons.“

Das mag sein, aber nur was die Rolle der Bayern betrifft, die weniger dominant auftreten als zuletzt in ihren fünf aufeinanderfolgenden Meisterjahren. Allerdings beträgt aktuell der Abstand zwischen Platz 1 (BVB) und 6 (Hannover) erstaunliche acht Punkte. Letzte Saison trennten lediglich vier Zähler den ersten vom sechstplatzierten. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass zu so einem frühen Zeitpunkt Aussagen über das Spannungselement des weiteren Saisonverlaufs kompletter Unsinn sind.

Aber egal wie das Titelrennen auch ausgehen mag, mit einem vielleicht unter Jupp Heynckes wiedererstarkten FC Bayern, der dann zum sechsten Mal in Folge nach der Schale greifen könnte, Christian Seifert weiß auch:

„Die Bundesliga lebt nicht nur davon wer Meister wird. Ansonsten hätte der Zuspruch in den letzten Jahren anders ausgesehen.“

Wenn Bayern in acht Saisons seit 2010 sechsmal Meister wird, dann bleiben dem Ligachef nur solche Aussagen um sein Produkt weiterhin als hochdramatisch verkaufen zu können.

Anschließend trägt Seifert aber doch ein wenig zu dick auf, als er behauptet:

„Sportlich gesehen war das in dieser Saison bis zum 7.ten Spieltag ein ordentlicher Wettbewerb mit einigen sehr überraschenden Ergebnissen, mit sehr knappen Spielen. Sportlich sieht das ganz gut aus.“

Mit Verlaub, aber das ist kompletter Nonsens. Okay, wenn er mit sehr knappen Spielen, die mit den Standardergebnissen 0:0 oder 1:0 meint, dann trifft das natürlich zu, davon gab es schon reichlich. Aber das kann ja wohl kaum Maßstab und Anspruch sein. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich fehlende Tore als Indiz mangelnder Qualität gleichsetzen. Und da lauten die Fakten, dass der Toreschnitt in dieser Saison rapide eingebrochen ist (für die ersten sieben Spieltage beträgt er 2,44 im Vergleich zu 2,87 für die gesamte Saison 2016/17!). Gerade einmal sechs Teams haben im zweistelligen Bereich getroffen, also sind auf bislang mindestens zehn Treffer gekommen. Das ist ziemlich erbärmlich und in der Gesamtbetrachtung so wenig, wie nie zuvor. Ein Börsianer würde von „All-time-low“ sprechen. Vielen Bundesligaspiele können nichts Erfreuliches anbieten, nur Krampf, Stückwerk und Gewürge. In der Live-Betrachtung sind viele Spiele unzumutbar. Für die Sportschau kann man meist noch interessante Berichte zusammenschnipseln, aber das gilt längst nicht mehr für alle Partien. Die Qualität ist komplett eingebrochen, das sagen nicht nur objektive Betrachter, sondern auch Profis, wie Mario Gomez oder Emre Can. Ach ja, und was komplett fehlt, sind Shooting-Stars. Spieler, die, noch in erfrischender Sommerlaune, dem Beginn einer neuen Saison mit atemberaubenden Dribblings, Spitzkicks und Traumtoren ihren Stempel aufdrücken. Die hat es in der Bundesliga eigentlich immer gegeben, zumindest in früheren Jahren. Was die Gründe für den unübersehbaren Schwund an Qualität in der Bundesliga sind, wird leider an keiner Stelle der Debatte thematisiert.

Beim Zuschauerinteresse herrscht für Seifert ebenso eitel Sonnenschein:

„Im Schnitt 44.000 Zuschauern, das sind 92% Auslastung. Zusammen mit der Premier League ist die Bundesliga Spitze in Europa. In der ARD, im ZDF, bei sky und anderen Partnern sind die Quoten sehr gut. Also auch der Zuschauerzuspruch ist da.“

Klar, die Anzahl der Fans in den Stadien ist eine objektiv messbare Kennzahl, auf die der Macher stolz sein kann. Die Stadien sind nach wie vor voll. Dazu trägt auch der Effekt bei, dass die Zwerge aus Ingolstadt und Darmstadt von den (was die Zuschauerresonanz und die Kapazität der Arenen betrifft) Giganten aus Stuttgart und Hannover ersetzt worden sind. Aber: Wenn die Kameras an bestimmten fragwürdigen Bundesligastandorten verräterisch über die Tribünen schwenken, fällt auf, dass immer mehr freie Plätze sichtbar sind (z.B. in Mainz, Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen, Augsburg). Sind das Ermüdungserscheinungen in - was den Fussballsport betrifft - nicht so traditionsreichen Regionen, die auftreten, wenn bei diesen (in der Mehrzahl) Investorenklubs der Reiz des Neues verflogen ist und/oder diese nicht an der Tabellenspitze rumgrooven? Intransparent ist die Lage bei SKY und den von Seifert angesprochenen „anderen Partnern“, mit denen vor allem Discovery Channel (mit seiner Plattform Eurosport 2), der neue Anbieter von Livebildern am Freitag- und Montagabend, gemeint ist. Gibt es da überhaupt Abonnenten? Und ob SKY wirklich zufrieden sein kann mit der immer mickrigeren Konferenz (am 4. und 7. Spieltag wurden samstags um 15:30 nur fünf Begegnungen ausgetragen) oder Einzelabrufen bei Spielen wie Leipzig - Freiburg an einem Sonntag, die im kaum messbaren Bereich liegen dürften, das möchte ich doch mal dahingestellt sein lassen.

 

In naher Zukunft wird sich vielleicht mal die Frage stellen, wie lange die Zuschauer den Vereinen noch sprichwörtlich die Bude einrennen und das immer komplizierter werdende Prozedere mit verschiedenen Abonnements auf sich nehmen werden, wenn auch der letzte Eventie mitbekommt, dass schlechter Fussball sterbenslangweilig ist und keinen Wert an sich darstellt. Dann nützt auch das schönste, hochgeladene Selfie aus der Allianzarena nicht mehr, wenn man dafür statt Bewunderung nur noch Bedauern erntet.

Anschließend kommt Seifert zu seiner Paradedisziplin, den Finanzen:

„Finanziell laufen wir wahrscheinlich auf ein weiteres Rekordjahr zu, mit dem höchsten Umsatz den man je hatte.“

Da ist der ehemalige Marketingchef von MTV in seinem Metier. In seinem Heimspiel kann man ihm natürlich nicht ans Bein pinkeln. Die einzige Frage, die er sich hier gefallen lassen müsste, ist die nach der Kehrseite des wirtschaftlichen Erfolgs. Wie hoch ist der Preis, der an anderer Stelle für diese Rekordumsätze entrichtet werden muss? ZDF-Mann Jochen Breyer, der sicher nicht zu den Weichspülern der Branche gehört, hat es versäumt diese Frage zu stellen.

Wenig überraschend fällt dann auch Seiferts rundherum positives Fazit aus:

„Wenn wir die drei Perspektiven betrachten, dann geht es der Bundesliga als nationaler Wettbewerb sehr gut.“

Womit ihm nahtlos die Überleitung zur eigentlichen Fragestellung des Abends gelungen ist:

„Für das schlechte Abschneiden in Europa gibt es Gründe. Gerade in der Champions League hat sich in den letzten Jahren wahnsinnig viel entwickelt. Der Druck an der Spitze ist unglaublich geworden. In den Viertelfinals der letzten Jahre, spielten da fast ausschließlich Klubs, die zu den Umsatz-Top20 in Europa gehören. Es wäre ziemlich überheblich zu glauben, dass der FC Bayern nach Paris fährt und schießt die aus dem Stadion oder dass Borussia Dortmund nicht gegen Real Madrid verlieren darf.“

Überheblichkeit hin oder her, niemand hat das Letztgesagte auch nur ansatzweise geglaubt. Von daher zündet Seifert hier Nebelkerzen. Allerdings darf man auch nicht die Augen davor verschließen, dass für die passable deutsche Champions-League-Bilanz seit 2010 hauptsächlich die Bayern verantwortlich waren, unterstützt von soliden Dortmundern. Aber dahinter tut sich ein großes schwarzes Loch auf, in dem die anderen Klubs, die es in der Vergangenheit auch zumindest mal ins Viertelfinale geschafft haben, versunken sind. Schalke, Wolfsburg oder Leverkusen konnten sich 2016/17 nicht mal für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren. An ihrer statt kämpfen die „Europa“-Neulinge Hoffenheim und Leipzig um deutsche Meriten für die Fünfjahreswertung. Beide waren (Hoffenheim scheiterte in der Qualifikation am FC Liverpool) bzw. sind in der Königsklasse gnadenlos überfordert. In Deutschland fehlen also hinter den Etablierten weitere Spitzenvereine, die unsere europäische Performance aufpolieren könnten. Das ist eine gleichermaßen relativ neue, wie zugleich fatale Entwicklung, die unisono für den SC Freiburg, den 1. FC Köln und Hertha BSC gilt, die ja sehr selten zu Gast in Europa sind.

Die Bilanz der Bundesligisten in der EuroLeague ist seit der letzten Halbfinalteilnahme eines deutschen Klubs (2010 verspielte der HSV den Finaleinzug gegen den FC Fulham) komplett desaströs. Hierzu nimmt der Ligachef relativ unverblümt Stellung und führt eine Reihe von Gründen für das zumeist frühzeitige Scheitern deutscher Klubs in diesem wohl hierzulande stiefmütterlich betrachteten Wettbewerb an:

Lange Jahre hat es geheißen, uns fehlen die finanziellen Mittel um international mitzuhalten. Das ist jetzt keine Ausrede mehr. International sind wir die Liga mit dem zweithöchsten Umsatz. Wenn fünfzehn Klubs mehr als 100 Mio € Umsatz machen, dann dürfen wir in der EuroLeague über die Vorrunde nicht diskutieren. Ab dem Achtelfinale, wenn die Mannschaften aus der Champions League dazukommen, ist die EuroLeague schon ein harter Wettbewerb.“

Anscheinend hält Seifert einige Vertreter der Bundesliga-Mittelkasse, die sich in der jüngeren Vergangenheit in die EuroLeague verirrt haben, für nicht geeignet die deutschen Interessen zu vertreten:

„Mainz, Freiburg und Augsburg hätten aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten gar nicht EuroLeague spielen können oder dürfen. Dann spielen sie eine tolle Saison, qualifizieren sich für die EuroLeague und dann verlassen in der Regel wichtige Spieler diesen Klub und plötzlich findet sich ein Klub nach einer herausragenden Saison in Europa wieder. Teilweise mit einem geschwächten Kader. Und muss erstmal in drei Wettbewerben bestehen. Das ist nicht so einfach.“

Wunderbar ist diese Begründung aktuell auf Köln (Torjäger Modeste sattelte nach China um) und Freiburg (Grifo und Philipp wechselten zu den Borussias) anzuwenden. Wenngleich keiner dieser Vereine jemals behaupten würde, dass er die vielen Millionen, die er durch die Verkäufe eingenommen hat, nicht auch vernünftig und sinnvoll reinvestiert hat.

Unklar bleibt, welchen Ausweg aus diesem Dilemma (Überraschender Erfolg induziert Verlust der Stars) Seifert hier präferiert. Sollen nur noch die richtigen Klubs oben stehen oder wäre es vorteilhaft, wenn den überraschenden High Flyern nicht mehr ihre Topstars weggekauft werden würden? Und wie ließen sich diese beiden, doch recht abstrakten Varianten, erreichen?

Da eine Diskussion über die Auflösung dieses Teufelskreises sehr schnell in die Sackgasse führen würde, fügt Seifert seinem Erklärungsmuster einen klassischen Aspekt hinzu, indem er an das teutonische Pflichtbewusstsein appelliert:

„Die Dominanz der Bayern hat in den letzten Jahren den Blick darauf verstellt, wie extrem ausgeglichen die Bundesliga ist. Es ist so, dass man sich in der Bundesliga auf den nächsten Spieltag konzentrieren muss. Und das führt dann dazu, dass man eine EuroLeague eventuell nicht ganz so ernst nimmt, was aber nicht gut ist. Denn wenn man in einer EuroLeague gegen Mannschaften, die mit deutlich weniger Geld ausgestattet sind, keine gute Leistung bringt, dann kann man nicht einem magischen Automatismus folgend, immer davon ausgehen, dass nächstes Wochenende wieder 40.000 Fans kommen. Und deshalb sind die Verantwortlichen in den Klubs jetzt gefragt, ihren sportlich Verantwortlichen, den Mannschaften, den Fans, aber auch den Sponsoren und Partnern deutlich zu machen, dass wir die EuroLeague ernster nehmen müssen. Ansonsten wird der Deutsche Fussball und die Bundesliga ihr gutes Renommee aufs Spiel setzen.“

Um zu verdeutlichen, was er den Profivereinen da ins Stammbuch geschrieben hat, wiederholt Seifert die Quintessenz seiner Aussagen:

„Man muss sowohl Bundesliga als auch EuroLeague ernst nehmen, weil ansonsten wird das irgendwann eine Rückkopplung auf die Bundesliga haben, wenn Menschen nicht mehr den Eindruck haben, dass sie wirklich guten Fussball sehen.“

und fordert direkt ein Signal von den Angesprochenen:

„Der nächste Spieltag wäre ein ziemlich guter Zeitpunkt um ein Zeichen zu setzen!“

Obwohl Seifert mehrfach den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesliga betont, kann man zwischen den Zeilen immer wieder herauslesen, dass er eine weitere Maximierung der Kapitalbeschaffung und -ausstattung für unvermeidlich hält, um den staatlich oder oligarchisch alimentierten Fussballkonzernen sportlich Paroli bieten zu können. Auf der einen Seite lobt er den Wettbewerb in der Bundesliga als spannend, da es ja nicht nur um die Meisterfrage geht und alle anderen Plätze ja tatsächlich umkämpft sind. Andererseits würde er wohl nie auf die Idee kommen, sich damit zufrieden zu geben, wenn deutsche Vertreter regelmäßig zwar in die Viertelfinals vorstießen, auf dem Weg dorthin leidenschaftlichen Fussball und spannende Spiele zeigen würden, dann aber doch nur noch zuschauen, wenn im Mai das Tafelsilber abgeräumt wird, weil ihnen der Weg in die Finals durch den unfairen Finanzvorsprung der Megaklubs verbaut wird. Das ist nicht ganz stringent von ihm und es wird immer klarer, welchen Weg Seifert und Konsorten dabei sind freizuschießen. Der lautet in etwa so:

Wer Erfolg und Titel will, wer große Stars in der eigenen Liga sehen möchte, der MUSS bereit sein ALLES liebgewonnene auf dem Scheiterhaufen der Turbokommerzialisierung zu opfern, denn die anderen machen das ja auch und zwar viel rücksichtsloser!!!

Die deutschen Funktionäre übersehen dabei nur, dass die Schweden, Serben und Bulgaren diesen Weg nicht gehen, ja mangels Attraktivität gar nicht gehen können, und trotzdem in der Lage waren, Hertha BSC, den 1. FC Köln und Hoffenheim zu bezwingen, was aus reinen Budgetgründen ja gar nicht hätte passieren können. Es muss also noch einen anderen Weg zum Erfolg geben als den über die brutalst mögliche Kapitalmaximierung.

Verräterisch dazu auch Seiferts folgende Aussagen zum Thema „Geld“, die man einfach mal auf sich wirken lassen sollte:

„Das Interview von Robert Lewandowski fand ich ziemlich kritisch, denn er sagt ja auch, ihm sei ziemlich egal, wo das Geld herkommt und das ist eine ambitionierte Einstellung heutzutage.“

„Es gab einen extremen Zufluss von Kapital an die europäische Spitze. Wer zu den Top20 in Europa gehören möchte, muss über 200 Mio € Umsatz machen.“

„Wir können nicht auf der einen Seite sagen, es ist ja viel zu viel Geld im Fussball, und die Spieler verdienen zu viel und die Ablösesummen sind Wahnsinn und auf der anderen Seite dann fragen, warum tun sich deutsche Klubs so schwer in der Champions League.“

„Heutzutage sind erhebliche Summen nötig um Profifussball zu spielen. Das ist einer der Gründe, warum die Mehrheit der Spieler aus dem CONFED-Cup-Team und alle U21-Europameister noch in Deutschland spielen. Würde die Bundesliga deutlich weniger Geld haben, würden diese Spieler nicht bei uns spielen. Nicht jeder, der sein Wappen küsst, spielt für die Vereinsliebe. Dazu muss man offen stehen. Dazu bedarf es gewisser Dinge. Dazu bedarf es Vermarktung auf Seiten der Klubs, auf Seiten der DFL Wir reichen 94% der Fernsehgelder an die Klubs durch. Wir müssen nicht alle Verrücktheiten mitmachen. Ich bin definitiv nicht der Meinung: wir müssen jetzt alles tun, damit der FC Bayern München, damit auch Herr Lewandowski zufrieden ist, jetzt den nächsten Transfer über 250 Mio stemmen kann. Das wäre falsch und würde in Deutschland ohnehin nicht akzeptiert werden, es würde aber auch nirgendwo hinführen, denn die französische Liga hat einen Schnitt von 22.000 Zuschauern – trotz Neymar.“

„Inmitten dieser Verrücktheiten, die wir momentan in Europa sehen (die englischen Klubs wollen Meisterschaftsspiele in Asien machen; die spanische Liga hat zehn Anstoßzeiten; in Frankreich wird eine Investorenabteilung gegründet um möglichst viele Investoren ins Land zu holen um mehr Klubs zu verkaufen) haben wir als Bundesliga uns ganz gut gehalten.“

Ganz gut gehalten bedeutet übersetzt, dass der Weg der Zurückhaltung nun vorbei ist und die Bundesliga so schnell wie möglich zum Quantensprung ansetzen will um dorthin hin zu gelangen, wo sie nach ihrem und Seiferts Selbstverständnis hingehört: An die Spitze Europas!

Seiferts dechiffrierte Kernaussage zum Thema Finanzen lässt sich somit reduzieren auf:

Wir haben schon viel Kohle beschafft, aber wir brauchen noch viel mehr, denn wir müssen besser und erfolgreicher sein als die Klubs der Rich Kids. Wir wollen zwar nicht deren Verrücktheiten wie den Neymar-Transfer mitmachen, dafür machen wir unsere eigenen, denn, liebe Fans, das müsst ihr doch einsehen, die Champions League geht erst wieder nach Deutschland, wenn Lewandowski und Co nicht 15 Mio € jährlich absahnen, sondern mindestens das Doppelte.

Denn nur um noch gigantischere Gehälter kann es gehen, oder glaubt der ausgebuffte Seifert wirklich, dass einer der großen Weltstars, die ja zumeist aus Südamerika oder von der iberischen Halbinsel kommen, wirklich in die Bundesliga zu locken wäre? So naiv kann er nicht sein. Es kann doch maximal darum gehen die Aubameyangs, Lewandowskis und Timo Werners davon abzuhalten auch dem Strom des großen Geldes nach Manchester, Spanien, Turin oder Paris zu folgen. Und darum zukünftig zu verhindern, dass Talente wie Leroy Sane, Julian Draxler und Emre Can es ihnen schon in jungen Jahren gleichtun.

Damit schwenkt Christian Seifert mit seiner DFL schon ganz konform auf die neue Strategie des DFB ein, die Präsident Reinhard Grindel diese Woche durchblicken ließ.

Die modifizierte Strategie von DFB und DFL sieht vor, alles was ist und noch kommen wird, in Relation zu den Auswüchsen in den anderen Ländern zu setzen und dadurch dem hiesigen Stand der Kommerzialisierung einen moderaten Anstrich zu verpassen. Das ließe sich dann unter dem Stichwort „Kapitalismus light“ subsumieren.

Als DFB-Boss Grindel unlängst die Profiklubs verteidigte, die wegen fehlender internationaler Wettbewerbsfähigkeit in die Kritik geraten waren, wies er darauf hin,

„dass die Kommerzialisierungsdiskussion auch ganz anders geführt werden könne. Dass wir nämlich, was die Anstoßzeiten, die internationalen Aktivitäten und die Digitalisierung angeht, überhaupt nicht so kommerziell sind wie andere, etwa in Spanien und England.“

Deshalb müsse man

„sich sehr genau anschauen, was notwendig ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu müssen wir finanziell mit England und Spanien mithalten“.

Klingt nicht so, als dürften deutsche Amateurklubs und Fans auf noch mehr Rücksichtnahme seitens DFB und DFL hoffen. Wer in den Aussagen Grindels Ähnlichkeiten zu den Worten Seiferts findet, darf diese gerne behalten.

Aber zurück zu Christian Seiferts Auftritt im Sportstudio. Er sagte noch:

„Wir müssen jetzt darüber diskutieren, wie wir den Weg weitergehen wollen. Der Neymar-Transfer wird eine Ausnahme bleiben, weil die US-Investoren, die sehr stark in England engagiert sind, so einen Transfer nicht getätigt hätten. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wo wir hinwollen und das ganz ehrlich diskutieren.“

Seiferts wiederholte Hinweise darauf „offen“ und „ehrlich“ diskutieren zu müssen, verheißen nichts Gutes, jedenfalls nicht für den einheimischen Fan, auch wenn er auf Befragung von Jochen Breyer immerhin ausschließt, dass das DFB-Pokalfinale in den nächsten 5 bis 10 Jahren in Shanghai stattfinden könnte (nach den potentiellen Austragungsorten New York oder Hong Kong wurde er vom Moderator allerdings nicht gefragt).

Ebenso findet es der DFL-Boss unvorstellbar, dass es in naher Zukunft nur noch zwei 15:30-Spiele am Samstag geben wird. Daran wird er sich messen lassen müssen.

Worauf er aber keine konkrete Antwort geben konnte, war die Frage Breyers nach Beibehaltung oder Abschaffung der 50+1-Regel innerhalb von fünf Jahren. Darauf kamen einige sich teilweise widersprechende Aussagen Seiferts:

„Ob sie von der Liga abgeschafft wird, weiß ich nicht. Ob sie noch besteht, weiß ich allerdings auch nicht. Es könnte ja sein, dass irgendjemand gegen sie klagt und sie fällt vor Gericht.“

Aha, IRGENDJEMAND… So, so

„Wir haben eine sehr gute Entwicklung, ein ausgewogenes Modell und das ist gelungen mit dieser Regel. Ob die Aufhebung der 50+1-Regel dafür sorgt, dass wir im internationalen Wettbewerb erfolgreicher sein würden, da bin ich mir nicht sicher. Wir müssten auch mit 50+1-Regel in der EL die ersten Runden überstehen. Deshalb müsste man mal diskutieren, wofür diese Regel überhaupt steht. Für mich steht diese Regel inhaltlich dafür, dass sich ein Klub nicht zu weit von seinen Mitgliedern entfernt. Wir leben in einer Zeit, in der man Regeln vor Gericht überprüfen lassen kann. Zumal es auch eine Beschwerde vor dem Bundeskartellamt in Bonn dagegen gibt. Deshalb müsste man diese Regel so diskutieren, dass man sie auch zukunftsfest macht, denn der Gedanke dahinter ist absolut erstrebenswert. Ob sie das in der jetzigen Form ist? Eigentlich ist diese Regel ziemlich dürr. Man kann nicht einfach so tun als wollte niemand dagegen klagen, als gäbe es kein europäisches Recht, als gäbe es kein deutsches Kartellrecht. Und wenn sie dann fällt, dann gucken wir uns alle an und sagen, oh, das war jetzt aber blöd.“

„Ich bin definitiv für viele Inhalte, die in dieser Regel enthalten sind. Ich bin aber auch für eine offene Debatte. Die Klubs müssen eine Richtungsentscheidung treffen und wenn man sie aus der Satzung der Liga herausnehmen möchte, dann kann immer noch jeder Klub für sich entscheiden, ob er Mehrheitsanteile verkauft oder nicht.“

Ich denke, diese wachsweichen Worte Seiferts zur 50+1-Regel, die den deutschen Fussball unstrittig vor dem galoppierenden Wahnsinn der konkurrierenden Länder geschützt hat, aber deren Schwachstelle zugegebenermaßen jetzt schon die Ausnahmeregelungen sind, die sich die Investorenklubs aus Leipzig, Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen und demnächst aus Hannover 96 zunutze machen, sprechen für sich selbst. An alle Fussballromantikter da draußen:

Christian Seifert hat am 07. Oktober 2017 die 50plus1-Regel zum Abschuss freigegeben!

DFL und DFB ziehen bei ihren zukünftigen Strategien und Maßnahmen an einem Strang und befinden sich damit im Einklang mit Branchenführer FC Bayern München. Die Message, mit der für den Traditionalisten schmerzhafte Veränderungen vorbereitet werden sollen, lautet:

Der deutsche Fußball muss kreativer sein. Vor allem Paris Saint-Germain und die englischen Geldklubs werden weiter aggressiv und von der UEFA und ihrem stumpfen Instrument Financial Fair Play (FFP) weitestgehend unbehelligt aufrüsten. Mit professionellerer Nachwuchsförderung allein wird man dagegen nicht bestehen können. Es muss auch um neue Erlösquellen und die Transferausrichtung gehen (dürfen). (Selbst auferlegte) Regeln wie 50+1 und Bedenkenträger stören dabei nur. Es darf keine Tabus und keine Denkverbote geben.

Ich bin mir absolut sicher, dass auf Deutschland der nächste Kommerzialisierungsschub zukommt. DFL und DFB sehen sich im Recht. Nach ihrer Ansicht haben sie lange genug auf die Interessen der Fans Rücksicht genommen. Nun denken sie, dass es mal gut damit ist und sie werden nicht ruhen, solange andere Ligen noch vor der Bundesliga stehen. Fehlt nur noch, dass dieser Weg als alternativlos bezeichnet wird. Aber auch dieses Argument dürfte schon bald in die Diskussion eingebracht werden, spätestens wenn mit Bayern München nur ein Bundesligist in einem europäischen Wettbewerb überwintern sollte.

Rein hypothetisch sind für den Fussballfreund folgende Veränderungen vorstellbar:

  • In fünf Jahren werden wir ähnliche Verhältnisse haben wie in der NFL
  • Vier verschiedene Anstosszeiten täglich von Freitag bis Montag
  • ab 12:00 h alle 2 Stunden ein Anstoß in der 1. und 2. Bundesliga
  • Jede Anstosszeit wird separat vermarktet
  • Pausen durch Videoassistent werden auf 60 Sekunden festgelegt und mit Werbespots gefüllt (auch im Stadion)
  • Topspiele finden in Übersee (Asien und USA) statt, Pokalspiele ebenfalls
  • Diverse Senderabos sind nötig um alles sehen zu können. Kosten dafür liegen jenseits der 90€ pro Monat für das Premium all inklusive Paket (z.b. werbefrei über alle Geräte streamen)
  • Auch denkbar: zukünftig 3 x  30 Minuten spielen lassen um mehr Sendezeit zu bekommen und mehr Werbeplätze zu vermarkten

Das Dumme dabei ist: Die Konsumenten (das sind wir, denn Fans im eigentlichen Sinne sterben aus) werden das mitmachen!

Es muss ja nicht ganz so schlimm kommen, wie vom Düsseldorfer Beobachter Robert Sonnenberger befürchtet, aber die fussballinteressierte Öffentlichkeit hierzulande muss sich darauf einstellen, dass alles noch viel schlimmer kommen wird, und zwar schon bald! Die Zeiten der Zurückhaltung und Rücksichtnahme sind vorbei. Die Turbokommerzialisierung startet demnächst auch in Deutschland durch, das ist spätestens seit dem Auftritt von Christian Seifert im Sportstudio sonnenklar. Be prepared…

 

Tag(s) : #Fußball pur!
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