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Während Horst Hrubesch, der lebende Beweis für die Schädlichkeit des Kopfballspiels, den EM-Auftritt der deutschen Mannschaft einfach nur Paroli laufen läßt, bemüht sich Volley um einen tiefer gehende Analyse des Desasters.

 

Typische Turniermannschaft? Steigerungsfähig? Über Kampf zum Spiel? Fußballgötter? Vorbei: Drei Spiele. Ein Punkt. Ein Tor. Die Heldensage von unbezwingbaren Teutonen, die Mär von Willenskraft und physischer Stärke, die jeden Gegner in die Knie zwingt, verkam durch die EM zur Realsatire. Daß aber auch der Mythos von den deutschen Tugenden brutal zerstört wurde, dem nicht nachlassenden Glauben ein Spiel zu wenden, wenn der Gegner beginnt einen vorführen zu wollen – ist ein tief sitzender Schock.  Bis zuletzt glaubte man die vielzitierten, alemannischen Tugenden abrufen zu können, wenn es wirklich darauf ankommt. Somit wurden die Katastrophenkicks gegen Holland und die Schweiz als Warnsignale ignoriert. Im Gegenteil: Spieler, Trainer und Funktionäre zeigten sich bei der EM immer wieder von der eigenen Leistung überrascht und weigerten sich hartnäckig, zu realisieren, daß es sich bei unserem Niveau um eine unbestreitbare Tatsache handelt, für die es vielerlei Gründe gibt: Deutschland glänzt nur noch als Europameister der Ausreden. Dem einen sind die körperlichen Anstrengungen zu hoch. Den anderen stört die "mentale" Belastung bei der Arbeit mit den Medien, dem Umgang mit den Sponsoren, den Berührungen mit den Fans. Und das alles bei dem permanent gegenwärtigen Druck, gute Leistungen abliefern zu müssen. Schon in den vergangenen zwei Jahren gab es immer Ausreden warum die Leistung nicht stimmte, immer mit Hinweis darauf, in Ruhe die EM erstmal abzuwarten und sich nur an den dortigen Ergebnissen messen zu lassen. So soll es geschehen:

 

Sportliche und charakterliche Defizite

 

Technisch und taktisch agierten die anderen Teams bei dieser EM in anderen Dimensionen. Die deutschen Profis sind unfähig, den Ball sauber zu passen und zu verarbeiten. Die Folgen der gravierenden Defizite im Umgang mit dem Ball: Die deutsche Nationalelf ist nicht in der Lage, ihr Spiel mit dem notwendigen Tempo zu unterlegen, kann sich weder mit schnellem Kurzpaßspiel befreien noch damit den Gegner unter Druck setzen. Am bedenklichsten ist, daß die deutschen Tugenden verschwunden sind. 1986, als Briegel und Jakobs auf mexikanischem Gras alles niederwalzten, beklagte sich Teamchef Beckenbauer, daß die Bundesliga ihn "mit dem größten Schrott“ losgeschickt habe. Man wurde achtbarer Zweiter. Trotzdem suchte und fand man spielerische Potenz, die in einen gesunden Einklang mit den urdeutschen Eigenschaften gebracht werden konnte. Der Lohn war der WM-Titel 1990. Heute sind Technik und Kreativität wieder verschwunden und mit ihnen die überlegene Physis und der unbändige Wille ein verloren geglaubtes Spiel noch umzubiegen. Mentale Stärke, Charakter und Integrität halten unsere Attrappen von Fußballern für Internet-Aktien am Neuen Markt. Kein Teamgeist, der Berge versetzen kann. Das Portugal-Match hat sie entgültig entlarvt. Keine Tempoverschärfung, kein ernsthaftes Dagegenhalten. Kein Mut. Ich glaube nicht, daß der Schweinehund überwunden, die Lunge gebrannt und die Füße gequalmt haben. Die Fans wären bei einer überzeugenden kämpferischen Vorstellung gegen Portugal bereit gewesen, zu verzeihen. So jedoch, werden diesmal offene Wunden bleiben. Diese Karikatur einer deutschen Nationalelf bot keinerlei Identifikationsmöglichkeiten. In diesen Tagen bleibt nichts als das Gefühl zurück, daß am Ende eines der wichtigsten Spiele für den deutschen Fußball keiner sich des Ernstes der Lage bewußt war; daß keiner gekämpft hat, sich von den phantastischen deutschen Fans nach vorne peitschen ließ. Willens war, daß Geschenk der Rumänen anzunehmen. Bloß fort von dieser EM. In den Urlaub – Sandburgen bauen mit den lieben Kleinen und immer das Handy griffbereit für Vertragsgespräche.                     

 

 

Mangelnde Kompetenz des Trainerstabs  - Kein eingespieltes Team

 

Die personellen Vorstellungen des Teamchefs und seine taktischen Vorgaben wurden immer öfter belächelt. Fast alle wichtigen Entscheidungen waren geprägt von Zufälligkeiten, Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten. Permanente taktische und personelle Experimente brachten keine griffigen Ergebnisse, ähnelten eher einem Primaner, der, mit seinem ersten Chemie-Baukasten, wenn alles gut geht, die Formel für ewiges Leben findet oder aber wahrscheinlich das Haus in die Luft jagt. Ribbecks Autorität wurde dadurch nicht nur in der Öffentlichkeit sondern auch intern immer stärker in Frage gestellt. Über Taktik und Training sprach man hinter vorgehaltener Hand vernichtende Urteile. 10 Tage vor EM-Start wollten Teile der Mannschaft Ribbeck stürzen und Matthäus als Teamchef inthronisieren, weil die Spieler, von Ribbecks fachlicher Inkompetenz entnervt, das Vorhaben Titelverteidigung scheitern sahen. Hier haben sie fast die Eigeninitiative gezeigt, die ihnen auf dem Platz gefehlt hat. Leider erstickte ihr Bemühen doch im Keim und damit war klar, daß Ribbeck gegenüber den abgezockten Profis keine Autorität mehr besaß. Franz Beckenbauer und die Bundesliga trifft die Schuld, Ribbeck nicht verhindert zu haben. Wohlwissend, daß eine schwache Nationalelf, den Vereinen und ihren „Geschäften“ in die Hände spielt. Das fatalste Negativprodukt war die zwei Jahre andauernde, bis zuletzt vergebliche Suche nach einem festen Gerüst. Niemand konnte sich so recht als Stammspieler fühlen. Ohne Mannschaft aber keine Hierarchie. Das Ergebnis: Während der drei EM-Spiele präsentierten sich die elf deutschen Spieler zumeist als konturen- und führungsloser Haufen. Jetzt, nach dem Ausscheiden melden sich die Versager zu Wort. So monierte Markus Babbel, daß es kein einheitliches Taktiktraining, keine Disziplin, keine Führungsspieler, keine Kommunikation zwischen Teamchef und Kapitän gab. Die Fehler lagen, laut Babbel, gleichermaßen im zwischenmenschlichen, atmosphärischen und fußballerischen Bereich: „Es ist uns nicht gelungen, den nötigen Teamspirit aufzubauen.“ Was immer Ribbeck als taktische Grundformation seinem Team verordnete, alles erwies sich als Makulatur. Ob mit einem spielenden Angreifer (Rink) und einem Brecher (Bierhoff) gegen Rumänien, ob mit einer Doppelspitze (Kirsten/Jancker) gegen England, oder mit einem Brecher (Jancker) und zwei "hängenden" Außenstürmern (Deisler/Bode) gegen Portugal - jede scheinbare Lösung floppte. Die Effektivität der vier Stürmer war gleich null. Bierhoff hat sich immer gewünscht, daß die Taktik mit Flügelspiel auf seine Stärken zugeschnitten werden sollte. Abgesehen davon, daß bis zuletzt unklar war, ob der Kapitän zur Stammelf gehörte, erhielt er gegen Rumänien kaum brauchbare Flanken. Als der kopfballschwache Jancker Bierhoffs Position einnahm, wurde er mit unpräzisen Flanken aus allen Richtungen bombardiert. Nur das kurze Anspiel, das Jancker bevorzugt, erreichte ihn ganze zwei Mal.

 

Kein Respekt mehr - Keine Professionalität beim DFB

 

Wir sind seit dem EM-Gewinn 1996 vom Fußball-Olymp zum Exoten hinabgestiegen. Der Respekt der anderen, aus dem sich oft unsere Stärke genährt hat, ist verloren gegangen. Enttarnt wurden wir von den Kroaten, die nicht müde wurden, der Welt zu versichern, daß die Deutschen Blender sind. Aufgrund ihrer Verschwörungstheorien hielt man sie für Spinner, bis sie uns bei der WM 98 entzauberten und sich rehabilitierten. Seitdem zittert keiner mehr vor Deutschland, aber wir zittern jetzt schon vor Griechenland. Die Wurzel allen Übels: Der morbide, antiquierte DFB mit seinen verkrusteten Strukturen. Geleitet vom senilen Machtmenschen Braun, der sich gerne als Kinder tätschelnder Wohltäter gebärt. In Wahrheit aber nur ein kritikunfähiger Gutsherr ist. Dazu seine durch Ämterhäufung überforderten Mitarbeiter, die sich so beweglich zeigen, wie ägyptische Pyramiden. Sie alle haben rund um die Nationalelf ein System übertriebener Verhätschelung aufgebaut und wundern sich jetzt, daß es auf dem Platz keine Eigeninitiative mehr gibt. Dazu kommen noch eine Reihe weiterer Schreckensmeldungen, die die Konzentration auf den sportlichen Erfolg torpediert haben: das völlig übertriebene Kesseltreiben gegen Lothar Matthäus, das Konditions-Desaster mit dem Streit um Laktat-Werte, die Genehmigung von zu häufigen freien Tagen für die Mannschaft, das Chaos-Training auf dem einer Dorfwiese ähnelnden Vereinsplatz des DFB-Diktators, die Totenstille der Spieler bei angesetzten Aussprachen.

 

Nicht zu vergessen, die negative Rolle die das Geld spielt, mit dem die Vereine vom Fernsehen und Sponsoren überflutet werden. Weil sie erpreßbar sind, müssen es die Vereinsmanager an die Spieler und deren Berater weitergeben. Wer in jungen Jahren Millionär ist, der läuft vielleicht nicht mehr so viel, grätscht nicht mehr so häufig, sieht sich selbst nicht mehr so kritisch. Leider definiert er Erfolg über seinen Kontostand. Vielmehr sollte er unkäufliche Dinge anstreben, wie Länderspielberufungen, internationale Titel oder Auszeichnungen von Fachleuten. Heute von einem jungen Kicker zu verlangen, sich für den Wohl und Wehe der Nationalelf zu zerreißen, scheint so aussichtslos, als wenn man Mick Jagger auffordert in seiner Freizeit nur noch Topflappen zu häkeln, statt weltweit Sex-Luder zu schwängern.

 

Die Stunde Null

 

Ein gnadenloser Neuaufbau auf allen Ebenen ist unausweichlich. Das beginnt beim Austausch des kompletten Trainerstabs und eines Großteil des Spielerkaders, führt über eine Optimierung der Jugendförderung und kulminiert in einer Zerschlagung der DFB-Strukturen. Rudi Völler und Michael Skibbe werden für ein Jahr auf viel Altbewährtes setzen, aber auch in Verbindung mit Rummenigge für die notwendige Disziplin sorgen. Für den großen Umbruch steht Völler nicht. Da muß man noch 10 Monate warten, bis mit  Christoph Daum ein Mann kommt, der ein begeisterungsfähiges Team mit Perspektive aufbauen kann. Er ist erfolgsbesessen und bereit seine Philosphie auch gegen Widerstände durchzukämpfen. Die Spieler, die in Holland total versagt haben, dürfen keinesfalls mehr für Deutschland spielen. Bei der Abrechnungsmaschinerie, die noch vor EM-Ende in Gang kam, fielen immer wieder die Namen der „drei Musketiere“ Hamann, Jerremies und Babbel. Da sie auch nicht durch Leistung glänzten, können sie bedenkenlos aussortiert werden. Ebenso sollte der Abpfiff für Linke, Ziege, Lehmann, Wosz und Ramelow ertönen. Ballack, der sich laut Ziege nichts sagen läßt und sich schon für einen Weltmeister hält, muß der Kopf gewaschen werden. Nur dann ist er neben Bode, Scholl, Rink, Rehmer, Kahn, Jancker und Nowotny eine Option für die nächsten Jahre. Die zentrale Figur muß Sebastian Deisler werden. Er ist der einzige mit Spielmacherqualitäten und muß – vom Trainer gestützt – in diese Rolle reinwachsen. Routiniers wie Beinlich, Strunz und Neuville unterstützen ihn im Mittelfeld. Neue, charakterstarke Figuren könnten Ketelaer, Hertzsch, Frings, Ricken, Baumann und Sebescen werden. Ganz klar, daß glorreiche Länderspiele vorerst von ihnen nicht zu erwarten sind, aber sie bieten eine Perspektive. Oliver Bierhoff wäre 2002 wahrscheinlich als Kapitän und Leistungsträger genauso umstritten wie es Matthäus jetzt war. Deswegen besteht die Gefahr, daß es wieder zu einer leistungshemmenden Polarisierung des Teams kommt. Man kann ihn noch für die Qualifikationsspiele des kommenden Jahres berufen, aber für die WM in Japan sollte man ihn nicht einplanen. Willentlich auf die WM-Qualifikation zu verzichten ist eine völlig deplazierte Forderung. Auch bei einem einschneidenden Neuaufbau, wird die deutsche Mannschaft immer in der Lage sein, sich für eine WM zu qualifizieren. Nur dort können die neuen Spieler lernen. Außerdem hat Leo Kirch 3 Milliarden Mark für die Fernsehrechte der nächsten beiden WMs ausgegeben. Der wird schon dafür sorgen, daß niemand auf diese absurde Verzichtsidee kommt. Und 2006 gewinnen wir sowieso.

 

 

 

 

Tag(s) : #Dirki bloggt die WM-EM
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