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„Abgehackte Eier“

Erwin Nr. 41, Offenbacher Kickers

Der Erwin ist und bleibt ein Fixstern am deutschen Fanzinehimmel. Das sportliche Niveau hat sich den von jeher starken redaktionellen Leistungen nach einer Zeit des Auseinanderdriftens wieder angenähert. Offenbach hat nach dem Beinaheabstieg durch den Neubeginn mit Talenten und dem Überwintern auf dem vierten Tabellenplatz der RL Süd das geschafft, was wir uns für Fortuna erträumt hatten. Ich gönne es ihnen. Auch die Tatsache, dass Raffaello Tonello Tore am Fließband produziert, nachdem er mehrmals vertragslos war und ein idealer Kandidat für seinen Ex-Verein gewesen wäre, neide ich ihnen nicht. Wir haben es nicht anders gewollt. Heft 41 wirft die Frage auf, warum es in der abgelaufenen Hinrunde zu einer konträren Entwicklung von sportlichen Höhenflug einerseits und Zuschauerzahlen bzw Stimmung am Bieberer „Bersch“ gekommen ist. Eine mögliche Erklärung könnte das anläßlich des Zweitligaaufstiegs ausgesprochene Verbot von alkoholisiertem Bier und Bengalos sein. Berechtigterweise wird dem entgegengehalten, dass „diese Mannschaft es nicht nötig hat, dass man sie sich schön säuft“. Erwin einigt sich darauf, dass die bedingungslose Unterstützung der Zuschauermassen durch den Streß der letzten Jahre vorübergehend verschüttet ist. Da in O-Town momentan so ziemlich alles stimmt, befürchtet der Erwin als „unkritisch“ abgestempelt zu werden. Aber Fanzines sind nicht zum mosern da, sondern zum Anprangern von Mißständen und, wenn es diese nicht gibt, tragen sie ganz einfach zum ungetrübten Spaß am Fußball bei. Ganz besonders hervorheben, muß man dass unverfälschte Interview mit Manni Binz. Um den „fesselnden Erzählstil“ des Liberos zu bewahren, entschied man sich für eine Veröffentlichung im O-Ton des echten Frankfurter Jungs. Es hat sich gelohnt, denn Binz berichtet unter dem Titel: „Klaus, die hacken mir hier die Eier ab“ von den Irrungen und Wirrungen die seine Vertragsverhandlungen im italienischen Padua 1996 mit sich brachten. Sein Berater, Klaus Gerster, wollte ihn damals gewinnbringend verhökern, versuchte dabei zu blöffen, zu taktieren und mehrere Vereine gegeneinander auszuspielen. Schonungslos offenbart der Ex-Eintrachtler (unbeabsichtigt) wie abhängig viele Fußballer von den grauen Eminenzen sind. Binz hat keine eigenen Vorstellungen formuliert, sondern war bereit nur das zu tun, was Gerster von ihm verlangte. Manfred Binz war immer dann völlig hilflos, wenn Gerster sein Handy abgestellt hatte. Die Story endet nicht zu Unrecht mit Mannis Beinahe-Entführung. Absolut lesenswert. Möge Erwin nie verglühen.                                                                                   

 

„Kinderteller“

11 Freunde Nr. 10

Die Volley-Redaktion schämt sich, denn die 11 Freunde sind noch nie von ihr rezensiert worden. Und das ist gar nicht gut so, denn hierbei handelt es sich um ein ganz außergewöhnliches Fanzine. Ein wahres Kleinod. Sie sind das unabhängige Magazin für Fußball-Kultur. Man gehört sogar zum erlauchten Kreis der Spiegel-Online-Kolumnisten (www.spiegel.de/sport/fussball), was beweist, dass man alles erreichen kann, wenn man nur Sepps Ratschlag: „11 Freunde müßt ihr sein“ beherbergert. Losgelöst von den Turbulenzen, die der eigene Lieblingsverein mit sich bringt, nimmt sich jede Printausgabe einer bestimmten Thematik an. Heft 10 steht unter dem Motto: „Fußballwunder – wenn Gebete erhört werden“. Zweifelsfrei gehört die Einordnung in die Kategorie Fußballwunder zu den subjektivesten überhaupt auf unserer schönen Erde. Während Uerdingens 7:3 gegen Dresden (1986) auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens fußt, sind die mirakulösen Klassenerhalte von Bielefeld (1981) und Freiburg (1994) eher Liebhaberstücke. Kalt den Rücken runter läuft es einem bei jedem Wort aus Klaus Fischers Munde bei dessen Erinnerungen an das Wunder von Sevilla. Im Halbfinale 1982 gegen die arroganten Franzosen lag die deutsche Elf aussichtslos 1:3 hinten und erzwang dennoch - nicht zuletzt durch Fischers Fallrückzieher in der 109. Minute - den Einzug ins Finale. Gibt es überhaupt irgend jemanden, der diesen Augenblick jemals vergessen kann? Drei Seiten weiter wird man knallhart auf den Boden der Realität zurückgeholt, denn auch unsere österreichischen Freunde haben ihr Wunder: Cordoba! (Zum Glück erspart man uns die Wunder von Dänemark, Bulgarien und ähnlichen Schurkenstaaten). Die Rüßmänner, Maiers und Vogts waren in Geberlaune und Hans Krankl, quicklebendig wie eine Regenbogenforelle, schenkte zweimal ein (den dritten Gegentreffer besorgte Berti dann lieber direkt selbst). Über die Zitate des ORF-Kommentators, Edi Finger („der Hansi-Burli“), kann man nach 24 Jahren gönnerhaft schmunzeln. Finger erfand während seiner Reportage sogar den Austro-Rap, den Falco später als Steilvorlage aufnehmen sollte. Die Freunde widmen sich auch regelmäßig verschollenen Traditionsvereinen. Diesmal wird der KSV Hessen Kassel gewürdigt, der nach dem Bankrott in der Kreisliga neu begann und seitdem das Feld von hinten aufrollt. Nicht unerwähnt darf auch die bewegende Geschichte über die schönste Fußball-Hymne (You’ll never walk alone) bleiben, die leider deutschlandweit malträtiert wird, obwohl sie einzig und alleine von den Fans des FC Liverpool gesungen werden sollte. Die beste Nachricht zum Schluß: die elf Freunde erscheinen seit Januar 02 monatlich. Auch im Internet unter www.11freunde.de.                                                                                                  

 

„Welcome Back, Otter“

Übersteiger Nr. 56, FC St. Pauli

Ich möchte zunächst dieses Forum nutzen, um den Kiezkickern meine ewige Dankbarkeit dafür zu bekunden, dass sie den Aufstieg des SV Waldhof Mannheim verhindert haben – meines persönlichen Haßvereines. Respekt auch dafür, dass die Paulianer, die für sie nicht gerade optimal laufende BL-Saison, unter dem olympischen Gedanken „Dabei sein ist alles“ betrachten und nicht die üblichen Mechanismen des Geschäftes greifen. Die weiß-braunen haben denselben Fehler wie viele Überraschungsaufsteiger begangen. Man hat nicht auf das Kollektiv vertraut, das den Verein in die erste Liga gehievt hat, sondern versuchte mit diversen panikartig verpflichteten Brasilianern und Amerikanern den Nichtabstieg zu erzwingen. Ein Vorgehen, dass üblicherweise dazu führt, dass erstens die (intakte) Mannschaftsstruktur unwiderruflich zerstört wird, zweitens der Verein sich finanziell übernimmt und schlußendlich der Abstieg nicht verhindert werden kann, man aber ohne funktionierendes Team und mit einem Berg von Schulden da steht und sich vermutlich nächstes Jahr um den Klassenerhalt in Liga 2 balgen muß. Bis zum nächsten Anlauf ins Oberhaus wird es dann wieder einige Jahre dauern. Schade. Pauli hatte aber kaum eine andere Chance. Die Kräfteverhältnisse der Branche haben zu einem Aderlaß der besten Spieler geführt. Die Rahns, Klasnics und Wehlages sollten einfach mal Geduld mit ihrem Verein aufbringen und sich nicht auf den gut gepolsterten Bänken der arrivierten Vereine aufs vorzeitige Altenteil zurückziehen. Übrig bleiben Spieler, die gar nicht zu St. Pauli passen, wie Toralf Konetzke. Einen Spieler, der die Stationen Fortuna Köln und Energie Cottbus aufweist, sollte man per se nicht verpflichten. Ein Leser beschwerte sich darüber hinaus über Aussagen des Kojakdoubles, die in einer der letzten Ausgaben veröffentlicht wurden, bezüglich des sorgenfreien Lebens in der ehemaligsten aller DDRen. Der Stürmer muß wohl u.a. geäußert haben, dass sich der Ruf der Menschen nach Freiheit nur auf Reisen in bestimmte Länder bezog. Dafür erhielt der Leser von der Redaktion einen unangemessen Einlauf verpaßt, in dem Fakten über Meinungsfreiheit in BRD (Demokratie) und DDR (Diktatur) äußerst unsachlich interpretiert wurden. Peinlich. Ansonsten wie immer eine gelungene Ausgabe, in der allerdings erstaunlich wenig über die aktuelle sportliche und wirtschaftliche Lage des Klubs berichtet wird.                                   


„Bully-Parade“

Bulldog Nr. 6, Fussball-Kultur

Jeder Mann hat Träume: Einen Bon-Jovi-Filter fürs Autoradio, Haare wie Samson, Frauen verführen können wie Rolf Zacher und unbesiegbar sein wie der Hackl Schorsch. Die männliche Spezies Fußballfan ergänzt hier: einmal echten englischen Fußball „live“ erleben. Manchmal lassen sich diese Träume miteinander kombinieren. Zwischen den Tagen im zarten Schein der Weihnachtsbaumbeleuchtung bei einem mächtigen Nougat-Marzipanriegel – kurzum in echt schmusiger Atmosphäre - nahm ich zum ersten Mal den Bulldog in die Hand und erfuhr gar Ungeheuerliches über fleischgewordene Tribünen, schwarze Stammesanführer und das blaue Wunder von Chelsea. Aber der Reihe nach. The Kop, Anfield Road, Liverpool. Auf einer riesigen Konstruktion aus Beton und Stahl standen 28.000 Anhänger dort dichtgedrängt in einer wogenden Menge, tanzten, sangen und dichteten schmutzige Lieder. Der Kop wurde zum Synonym sowohl für die Tribüne als auch für die kreative Fanmasse. Nach der Tragödie von Hillsborough waren die Tage der Stehplätze in England gezählt. Der Rest ist bekannt. 1994 rollten die Bagger an und der Kop wich einem Neubau mit 6.000 familiengerechten Sitzplätzen. Danach wird über Cass Pennant berichtet. Ein bei vornehmen weißen Adoptiveltern aufgewachsener Farbiger, der zum Anführer der legendären Inter City Firm von West Ham United aufstieg. Cass war kein Kind von Traurigkeit, aber als er 1981 schließlich als erster englischer Hooligan inhaftiert wurde, war er ausnahmsweise unschuldig. Durch eine Free-Cass-Pennant-Kampagne inklusive einer Petition, die Maggie Thatcher überreicht wurde, konnten Entlastungszeugen gefunden werden. Cass wurde dennoch zu einem Jahr verurteilt. Seine Freunde wollten vor Downing Street 10 demonstrieren. Auf dem Weg dorthin trafen sie auf Anti-Falklandkriegsdemonstranten, die spontan vermöbelt wurden. Die letzte Story beinhaltet die Geständnisse eines Chelsea-Hooligan, der die Aufstiegssaison 83/84 unter Randaleaspekten skizziert. Die sogenannten Casuals tourten mit ihrem Verein durchs Land, nahmen keine Gefangenen und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Zur Belohnung durften diese Schwachmatiker die Rückkehr ins Oberhaus feiern. Bemitleidens- aber unter experimentell-sozilogischen Gesichtspunkten auch lesenswert. Aber gut, dass diese Zeiten vorbei sind.  

 

„Leipzig kommt“

Bruno, Roter Stern Leipzig

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit dieses Heft in wenigen Sätzen zu beschreiben. Man sollte es deshalb erst gar nicht versuchen – die Gefahr des Scheiterns ist einfach zu groß. So ganz habe ich noch nicht den Facettenreichtum der Leipziger Fußball- und Fanzineszene intellektuell verarbeitet. Der Bruno ist anscheinend ein Joint-Venture der Schwarzen Sau (Sachsen L) und von Prasses Erben (Roter Stern L. – 9. Liga). Berichtet wird aber vor allem über den 87er EC-Finalisten VFB Leipzig. Warum nur? Irgendwann im Laufe der 72 Seiten Textwüste habe ich entkräftet aufgegeben, sonst hätte ich möglicherweise darauf eine Antwort gefunden. Immerhin begriff ich, dass von den städtischen Medien und den Wichtigtuern im Fußball, die bekanntermaßen keine Ahnung von unserem Sport und den Belangen seiner Fans haben, vehement eine Fusion der beiden Oberligaklubs gefordert wird. Ihr Argument ist die Bündelung der Kräfte der beiden Erbfeinde, die in der Viertklassigkeit alleine nicht überlebensfähig sind. Schließlich soll irgendwann das neue Zentralstadion gefüllt werden und Parteiaufmärsche kommen dafür ja wohl nicht mehr in Frage.                                           

 

„Abschied vom Olaf“

Schalke Unser Nr. 33

Eigentlich war die Rubrik Fanzines für dieses Mal abgeschlossen, da flatterte uns das neue SU ins Haus. Das gleichermaßen professionell wie liebevoll gestaltete Heft wartet mit wunderschönen Fakten und Stimmungen auf. Die Reihe „Die schönsten Skandale“ findet bereits ihre 13. Fortsetzung und ist wie immer der Höhepunkt des SUs. Es wird die x-te Regentschaft des unseligen „Oskar“ Siebert thematisiert. Nach dem er den Verein wieder Richtung Tabellenkeller geführt hatte, trat er in der Adventszeit 79 zurück. Der neue Präses, Dr. Fenne, unterrichtete tags darauf die staunende Öffentlichkeit über den neu verpflichteten Manager: Oskar Siebert!!! Unterhaltsam auch das Interview mit Neuling Marcel Rozgonyi, der aus Magdeburg auf die Tribüne der Arena gewechselt ist. Frage: „Wie erklärst Du Dir den Rechtsruck vieler Jugendlicher im Osten?“ MR: „Viele sagen, es gibt zu wenig Jugendclubs. Ich war noch nie in solch einem Club und bin kein Faschist geworden. Andere gestehen: Ich habe Ausländer verdroschen, weil ich eine schwere Kindheit hatte. Für mich sind das alles nur Ausreden. Die Strafen für solche Taten sind viel zu niedrig. Überhaupt das Strafgesetz in der BRD. Da fährt man einmal besoffen um den Block und das ganze Leben ist im Arsch. Andere vergewaltigen kleine Kinder und machen schwer auf psychisch geschädigt oder begründen es damit, dass sich ihre Eltern haben scheiden lassen.“ Unrecht hat er damit nicht, aber er muß seine Aussagen mit mehr Zwischentönen garnieren. Mit Olaf Thon wird demnächst ein ganz Großer seine Karriere beenden. Diese begann am 5.8.83 beim Zweitligaspiel S 04 gegen Charlottenburg. Als 17-Jähriger bestritt er alle Spiele und traf 14 mal. Schalke stieg auf und Thon erzielte 3 Tore beim legendären 6:6 im Halbfinale gegen Bayern München. Ein Anekdote am Rande: Am letzten Spieltag gastierte der RWE auf Schlacke und benötigte einen Sieg um nicht abzusteigen. Schalke erlegte die Essener 5:0. Damit hätte alles klar sein müssen, wenn da nicht das Foul eines Zuschauers (!!?) an der Torauslinie am Essener Torhüter Hallmann gewesen wäre. Hallmann humpelte vom Platz, Essen konnte nicht mehr auswechseln und legte Protest ein. Die Partie wurde wiederholt und der RWE wurde mit 2:3 in die dritte Liga geschickt. Für Aufnahmen dieses Fouls würde ich einiges auf den Tisch legen, aber nicht meine Schalker-Unser-Sammlung, denn die ist heilig.

 

erschienen in Nimm mich Volley Nr. 6, März 2002

Tag(s) : #Fanzines - Briefe u.a.
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