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Ihr dürft niemandem verraten, was ich euch jetzt gleich erzählen werde. Ich mag keine französischen Mädchen! Warum weiß ich nicht. Vielleicht liegt es an meiner puritanischen Erziehung. Ihr werdet einwenden, daß man Miou Miou, Emanuelle Beart, Isabelle Adjani und die Deneuve eigentlich ziemlich gerne mögen sollte und ihr habt mit Sicherheit recht. Vielleicht liegt es aber auch an meinen Problemen mit dem Franzosen an und für sich. In den 90er Jahren schickte dieser sich an Resteuropa fußballerisch in die Schranken zu verweisen. Das gefiel mir gar nicht. Dabei hatte er, der gemeine Franzose, früher vom Fußball so viel Ahnung wie ein Frosch vom Zähneputzen. Und den hat der Franzose dann auch noch gegessen. Vielleicht wurzelt die Abneigung aber tiefer. In den Erinnerungen an libidiös enttäuschend verlaufende Côte-d‘Azur-Urlaube, wo mein sportlicher Jugendfreund um drei Uhr nachmittags in fremden Schlafzimmern aufwachte, neben Frauen, deren Namen er nicht kannte und auch nicht kennen wollte oder musste, während ich, alleine im gebirgigen Hinterland, in dem Buch Die Geschichte der Menstruation schmökerte, um mir durch die Hintertür Zugang zu einer verborgenen Welt zu verschaffen. Nicht ungefährlich, denn sensible Kreaturen wie ich zerbrechen an jahrelangen Zurückweisungen und Fehlschlägen und irgendwann spuckt die Porno-Industrie sie ganz unten wieder aus. Dieser Kelch ist an mir dann aber doch vorüber gegangen. Ein anderer nicht. Aus ihm trinke ich seit vielen Monden den bittersüßen Liebessaft der Fortuna. Aber alles Wehklagen ist unangebracht. Man kann zwar die falschen Eltern, das falsche Geschlecht, die falsche Frisur, aber niemals und unter gar keinen Umständen, den falschen Lieblingsverein haben. Die einmal getroffene Wahl ist bindend und so obliegt man eben der Verpflichtung das Beste draus zu machen.
 

Getrunken, gefeiert, geweint

Jeder einzelne von uns hat seine eigenen Anekdoten, die er als Fan mit unserem Verein erlebt hat und die - abseits des Sportlichen - die Faszination Fortuna Düsseldorf ausmachen: Bei mir war es der kenianische Kellner, der sich 1987 nach unserer Herkunft erkundigte und auf meine Antwort „Düsseldorf“ hin ins Schwärmen geriet: „Oh, I know Dusseldorf. They have a very good team - (in diesem Moment überlegte ich kurz, ob es in Düsseldorf noch ein Team gab, das mir eventuell bislang verborgen geblieben war. Aber nein) Fortuna!“, sagte er und reichte mir noch einen Cocktail. „Lumumba for free. Come on, drink!“ „Thank you.“ „Do you want girls?“ „Äh, No. Please not.“ Womöglich war er ein Gelegenheitszuhälter und Günter Thiele, Pit Löhr & Co. haben auf ihrer Mannschaftstour 1985 nach Ostafrika seinem Call-Girl-Ring unvergeßliche Umsätze beschert.

Alkohol war auch im Spiel als einige muntere Fortunen zu fortgeschrittener Stunde im Altstadtlokal Bagel saßen. Draußen regnete und stürmte es, drinnen war es kuschelig warm. Niemand wollte heim. Die Freunde befürchteten vor die Tür gekehrt zu werden, denn der Uhrzeiger machte unbarmherzig klar, daß die Sperrstunde bereits um einiges überschritten war. Man klammerte sich an seinem Bier fest, verständigte sich per Handzeichen und hoffte, daß der Halbschlaf von Franz, dem Inhaber, noch anhalten möge. Doch Franz schreckte hoch, wankte auf die Gesellschaft zu und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Entgegen aller Befürchtungen öffnete er jedoch seinen Hosenschlitz, tunkte seinen „besten Freund“ in ein halbvolles Pilsglas und grunzte ohne Vorwarnung: „Foortuuhnaaa!“ Die Gäste gingen dann lieber freiwillig. Irre, aber wahr.

 

 

Süße Siebzehn müsste man nochmal sein
 

 

Ukraine, Orgasmen und Sergio Allievi

Wie viele meiner Freunde vom Klub der anonymen Sexbesessenen fristete ich ein tristes Dasein zwischen Pinkelparty und einem Leben als Loverboy, zwischen Frikadelle spezial und texanischem  Barbecue, zwischen Puppenjungs und der RTL-2-Tittenhölle. Irgendwie war ich vom rechten Weg abgekommen, war da so reingerutscht. Ich stagnierte. Ein neuer Look musste her. Mich reizte der Gedanke an gefährlichere Abenteuer als Fortuna-Auswärtsfahrten und ich begann die Welt zu bereisen. Eine meiner ersten Stationen führte mich in den Londoner Hyde-Park. Ziellos trottete ich umher, urplötzlich angezogen durch fröhliches Stimmengewirr von Leuten, die scheinbar grade ihre Sorgen vergaßen und ein wildes Besäufnis veranstalteten, das nicht ohne mich stattfinden durfte. Ich geriet an einen Ort, an dem ein Podium für alle wirren Zeitgenossen geschaffen war: Speaker`s Corner! Hier war ich genau richtig. Ich hatte einen besonderen Moment erwischt. Der Redner war eine Mischung aus Che Guevara und Jesus. Er erwies sich als Vertreter obskurer Verschwörungstheorien. Che-Jesus philosophierte über Lacoste-Intoleranz, Vor- und Nachteile der Todesstrafe für chinesische Organdiebe und den Ausverkauf der Ukraine. Letzteres rief einen Zwischenrufer auf den Plan. Ein stattlicher, älterer Herr forderte vehement: „Freiheit für die Ukraine!“ Ich stieß ihn an: „Lassen Sie ihn doch. Das Ganze ist nur ein Spiel.“ Voller Zornesröte schrie er mir ins Gesicht: „Was? Die Ukraine ist nur ein Spiel für Sie?“ Eine Frau zog ihn weg mit den Worten: „Du gehst in diese Klinik, Vladimir“ und beide verschwanden. Der Kongreß der Psychopathen kam so richtig in Fahrt und ich war mittendrin, spürte den eiskalten Hauch der Geschichte im Nacken. Che-Jesus fuhr fort: „Alle meine Freunde waren schwul, ich wollte so sein wie sie“, „Forscher bauen Roboter mit Fischgehirn“, „Penisgrößen und multiple Orgasmen werden völlig überschätzt, dabei handelt es sich bloß um einen Regierungskomplott gegen das schwarze Establishment, yada yada yada.“ Eben die übliche Palette an Minderwertigkeitskomplexen rauf und runter. Ich wollte gerade weiterziehen, da sah ich wie seine Augen zu leuchten begannen. Mit einem Mal konnte er uns allen in die Seele sehen und war bereit in das Herz einer weltweiten Verschwörung vorzudringen. Er spreizte die Arme und sprach: „God is a penis!“ Einige bespuckten ihn, andere weinten. Ein paar nickten jedoch zustimmend. Einer rief: „Das ist so krank.“ Ein anderer: „Mach‘, dass es aufhört!“ Die meisten standen unter Schock, wirkten hilflos. God is a penis. Möglich ist alles, aber ich glaube es eher nicht. Chez-Jesus bedankte sich artig und tauchte unter in der Anonymität der großen Stadt – für immer. Abgetreten auf dem Höhepunkt, wie Sergio Allievi – genial und beneidenswert.

 

 
Der Hyde-Park-Speaker (London, 1996)

 

Le grand finale

Die Bühne war verwaist. Ein schneller Blick nach links, ein flinker nach rechts und schon hatte ich sie erklommen. Doch wie sollte ich das verstörte Volk aufmuntern? Mit Fortuna-Storys Aufbruchstimmung zu erzeugen, fällt bekanntlich verdammt schwer. Ich begann einfach mal und erzählte von der Suche nach meinen drei verloren geglaubten Vierlingsbrüdern, schwärmte vom Malen im Affekt, gestand meine Fußballpornosucht und verkündete die fünf besten deutschen Lieder aller Zeiten (1. Der Spieler, 2. Daumen im Wind, 3. Himbeereis zum Frühstück, 4. Der blaue Planet und 5. Uschi, mach` kein Quatsch). Meine große Ansprache lockte einen Störenfried hervor (eine Art Ritterschlag für Hyde-Park-Speaker). Mit „Was willst Du eigentlich, Kraut?“ wollte er mich aus meinem nicht vorhandenen Konzept bringen. Ich schwenkte auf Konfrontationskurs ein: „Du möchtest wohl wissen, was ich will? Du willst es wirklich wissen?“ „Ja!“ „Okay. Du sollst es erfahren! Ich will, daß diese verdammten Schmerzen aufhören, daß Demandt wiedergeboren wird, daß ein Volk rot-weiß trägt, ich will zur See fahren, ich will nicht bloß mit betrunkenen Psychologiestudentinnen über Sex reden können, ich will ein Kind mit Lawrence von Arabien zeugen, ich will nichts Geringeres als die Welt retten.“ Mir war es gelungen, die skeptische Masse in meinen Bann zu ziehen. Sie dürstete nach mehr. „Hier ist mein Leben. Für Euch. Nehmt es und schweigt.“ Es war Zeit für mein großes Finale: “Ich habe ferne Planeten erforscht. Ich habe meine Rasse vergessen. Ich habe mein Land verlassen, das in Flammen stand. Ich habe die Bibel geschrieben. Ich habe Weidemann zu einem Duell gefordert. Ich habe in Teveren randaliert. Ich habe Pamela Ewing verführt. Ich habe einen Traum geträumt, in dem Fortuna Deutscher Meister war. Ich wurde wieder zum Kind, um ein neues Leben anzufangen. Ich habe nur mit einem Fahrrad bedeckt nüchtern an einer BP-Tankstelle übernachtet. Ich habe Eure Häuser gesehen. Ich habe 200 Jahre gelebt. Ich wurde zu Millionen von Menschen und zusammen sind wir Fortuna Düsseldorf.“ In einer perfekten Welt hätte ich jetzt vom Blitz erschlagen werden müssen. Aber dann könnte ich nie meinen Frieden mit französischen Mädchen schließen.

 

 

Petr Rada mal nicht in einer Augsburger Straßenbahn, sondern siegestrunken 1995 in den Katakomben des Rheinstadions. Rechts neben ihm: Fortunas Mannschaftsarzt Dr. Drazic.

 

erschienen in Nimm mich Volley Nr. 4, August 2000

Tag(s) : #Mein Leben als Fortuna-Fan
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