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Was wurde aus den großen Poeten der Menschheit? Entweder haben sie selbst Hand an sich gelegt, sind durch zu viele Weibergeschichten vom rechten Weg abgekommen, wurden von der Syphillus vor ihrer Zeit dahingerafft oder haben ganz einfach den Verstand verloren, wie so viele von uns. Nur eines hatten sie alle gemeinsam: Fortuna Düsseldorf war ihnen völlig unbekannt und sie wußten ihren dürstenden Jüngern nichts über die heimliche Grande Dame des Weltfußballs zu berichten. Durch seinen viel zu frühen Selbstmord konnte ein Ernest Hemingway keine Silbe von den Ereignissen des 4. September 1985 schildern. So waren nur ein paar tausend unentwegte Stadionbesucher und die treue Dieter-Sport-im-Westen-Adler-Fangemeinde Zeuge als ein blonder Jüngling, der offensichtlich nicht in der Lage war sich anständig zu bewegen, sein erstes Tor im Profizirkus erzielte. Sven Demandt gelang sein großes Debüt gegen den damals wie heute völlig unbedeutenden BVB. Eingewechselt für den ausgepumpten Hasse Holmquist, vernaschte er Loose und Zorc wie Caramel-Eis von Mövenpick und stolperte das Leder durch Goalie Immel hindurch zum 4:2. Er wußte nicht, was er tat. Niemand wußte es. Und das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Mit aufgerissenem Mund sah er zu, wie sein Ball hinter der gegnerischen Torlinie verschwand, und in seinem Gesicht spiegelte sich die ganze Welt des Gefühls. Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen, ob er schreien oder brüllen sollte. Dann schlug er einfach die Hände vors Gesicht und war für den Bruchteil einer Sekunde allein mit sich und seinem Sieg. Schließlich zerriß er voller Inbrunst sein Hemd. Geplagt von Krämpfen, aufgeregt bis zum Platzen, aber mit dem ganzen Feuer seiner 20 Jahre. Einen wie Demandt könnten wir jetzt gut gebrauchen.

Muttertag

Kein Hermann Hesse erwähnte jemals das Fantasy-Camp von Fortuna-Freund Nico: Er tut den ganzen Tag gar nichts, kommt unverhofft zu Geld und hat Sex ohne Beziehung – das ist ein wahres Fantasy-Camp. Degenerierte Großstädter sollen ihm, so war zu hören, bereits Unsummen geboten haben, um eine Woche lang sein Leben leben zu dürfen. Nicos Abenteuer gibt es auch in der Survival-Edition. Kostprobe daraus: Als der Anführer der örtlichen Hell‘s Angels 1994 beim hart umkämpften Aufstiegsrundenthriller gegen den FC Augsburg 15 Minuten vor Schluß Block 36 und damit das Stadion verlassen wollte, schrie Nico ihn an: „Bist Du verrückt jetzt zu gehen? Hier wird Fußballweltgeschichte geschrieben! Das ist historisch.“ Den Umstehenden stockte der Atem. Sie erwarteten die ultimative Mikado-Attacke des Höllenengels, die die Knochen de spindeldürren Nicos zersplittert hätte. „Tut mir leid. Ich muß los. Heute ist doch Muttertag“, antwortete der sensible Hardrocker. Alle lachten erleichtert. Frauenschwarm Johann W. von Goethe vergaß seinen Helden in den Leiden des jungen Kaiserswerthers folgende Worte zu seiner Herzensdame sprechen zu lassen: „Ich habe ein Ritual - ich gehe jeden Samstag ins Stadion und zwar mit geschlossenen Augen, in der Hoffnung, dass, wenn ich sie öffne, alles wieder so schön ist wie früher, so als wäre nichts geschehen. Das mache ich an jedem gottverdammten Spieltag.“ Genützt hatte es angesichts des sportlichen Abstiegs 2001 eher wenig. Die Nachricht vom Wilhelmshavener Lizenzentzug erreichte Werther beim Small Talk mit dekadenten Modejournalisten von der Ostküste. Er erinnert sich: „Plötzlich saß ich nicht mehr auf meinem Stuhl. Ich glaubte zu schweben. Meine Augen kamen mit den Bewegungen meines Kopfes nicht mehr mit. Ich tanzte hinaus auf die Straße und fühlte das Glück. Fortuna war gerettet.“ Die Abenteuer der Figuren von Douglas Adams waren spirituell und spektakulär. Die Gesetze der Physik spielten keine Rolle für sie. Dennoch versäumte es Adams sich mit dem Phänomen Uwe Weidemann auseinanderzusetzen. Eintragungen in dessen wohlweislich unter Verschluß gehaltenen Tagebüchern belegen, daß Uwe zwischen dem Verfassen diverser Verletzungs-Bulletins und seiner Vollzeitstelle im Rehazentrum noch nicht mal die Zeit fand, sich darüber zu wundern, warum er trotz notorischer Gebrechlichkeit und anhaltender Leistungsschwäche als zukünftige Spielmacherhoffnung auserkoren wurde. Ich aber wundere mich und ich zweifle.

Legionärskrankheit

Warum eigentlich? Längst müsste mir doch vieles spanisch vorkommen und, nebenbei gesagt, könnte es mir doch tatsächlich völlig egal sein, dass fremde Männer einem Zug aus dem Nirgendwo entsteigen, bei uns einen viel zu hoch dotierten Vertrag unterschreiben, sich versuchen zu einem Team zusammen zu raufen, feststellen, daß sie nicht einmal eine Ecke in den Strafraum schlagen können und am Ende eine saftige Abfindung kassieren um Fans und Verein von ihrem Antlitz zu erlösen. Genauso hat ein Erfolg, und ich kann als Fortuna-Fan praktisch kein Beispiel für einen solchen anbringen, prinzipiell null Auswirkungen auf meine Libido (die bliebe wohl auch dann < 0,1). Und doch bestimmen diese gleichgültigen Fremden, die uns scheinbar nicht verstehen wollen, unsere Gefühlslage wie sonst kaum etwas. Man darf eigentlich nicht länger drüber nachdenken. Betrachtet man es nüchtern, ich sagte eben man sollte es nie tun, habe ich noch nie Spaß am Leben gehabt, wenn es Fortuna schlecht ging. Diese Aussage läßt nicht viel Spielraum für Interpretationen. Sie ist schlicht frustrierend. Ich scheue mich nicht davor das Wort Armutszeugnis in den Mund zu nehmen. Die Spielbesuche in der Saison 2001/02 haben meine Kommunikations- und Integrationsstörungen noch verschlimmert. Während ich mit verschränkten Armen an einem x-beliebigen Kieler Wellenbrecher lehnte, genoß ich den Luxus, meine Augen zu schließen, lauschte dem Pochen meines Herzens, fühlte den blinden Nieselregen auf meinem Gesicht, hörte in der Ferne den Lärm des gebrochenen Spiels und dachte an mich wie an ein sagenhaftes Wesen, das, verkleidet als englischer Rodeoclown, in einer Sprache, die niemand versteht, Verse über ein entlegenes Land dichtet, das niemand kennt. Besonders beliebt machte mich dieses Verhalten nicht. Mein Lebensziel bleibt dennoch bestehen: Ich möchte im Moment unserer 2.ten Deutschen Meisterschaft zu Monica Belluccis Büstenhalter erstarren und erst zwei Jahre später zum direkten Wiederaufstieg geweckt werden.

Kein Interesse an Champagner-Fußball

Ich habe von Leuten gehört, denen ist Fußball absolut egal. Sie erfreuen sich sogar angeblich kaum an „einem kernigen Spiel.“ Sie verbringen ihre Wochenendnachmittage lieber mit Power-Shopping, Paragliding und der Eroberung des weiblichen Geschlechts. Sie haben dabei vermutlich, sofern sie es richtig anstellen, eine verdammt schöne Zeit, dennoch kann ich ihr Tun nicht gutheißen - halte es für wenig erstrebenswert. Das sind genau die Menschen, die jahrelang von ihrer polierten Oberfläche profitieren und beim Abbröckeln der Fassade durch den eiskalten Griff der Vergänglichkeit die ersten sind, die ihre Kalaschnikows durchladen und mit umgeschnallten Kokainbeuteln marodierend durchs Land ziehen werden. Man hört und liest da ja so einiges. Dann doch lieber ein von lauter Unbill gegerbter, charakterfester Fortune, der nicht im Traum daran denkt, den Glauben an eine bessere Welt, oder zumindest an die kostenlose Verpflichtung eines slowakischen Wunderstürmers aufzugeben. Die Zukunft bleibt also verschwommen. Klar ist lediglich, dass Frauen endlich von der Gesellschaft als Tauschwährung akzeptiert werden, der Block leer sein muss und das Volk von Zimbabwe siegen wird. Unklar bleibt, ob die nimmermüden Fans, die von der einstmals stolzen Anhängerschar übrig geblieben sind, nach dem Abstieg in die Viertklassigkeit, für ihr Durchhalten belohnt werden. Ihre liebreizende Treue und immer wieder aufkeimende, fast kindlich-naive Euphorie trotz eines Sperrfeuers von Nackenschlägen ist rational nicht begründbar. Aber sie harren aus: Für den Mythos Basel, für die Pokalschlachten und einen Titelgewinn, der irgendwann wieder vom Himmel fallen wird, für Wackel-Demandt, Heinz Lucas und die wilde 13. Für die Allofs-Brüder, aber auch für Teveren, die Aufstiegshelden Koch und Glavas. Für die Aussicht, sich mal wieder selbst zu feiern oder notfalls die van Duinens dieser Welt, einfach um die Sehnsucht nach neuen Publikumslieblingen zu stillen. Für den Gedanken, daß 2003 Fortunas Jahr sein könnte und für den gesetzlosen Spaß, den das in ihnen wachruft. Für das Wissen, daß jeder Winter, selbst einer, der 20 dunkle und schwierige Jahre andauert, die Möglichkeit eines Frühlings zuläßt. Das Spiel ist noch nicht vorbei. Der Mann in Schwarz hat noch lange nicht abgepfiffen. Es ist noch keine Zeit zu gehen. Jetzt noch nicht. Warum sollten Slavko Petrovic und sein furioser Haufen es nicht schaffen, sich im weiteren Saisonverlauf konstant als verschworene, spielstarke Einheit zu präsentieren um uns an sagenhafte Orte zu führen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat? Es kann gelingen. Wünschen würde ich es mir mehr als alles andere.

Keinen Arsch in der Hose: André Winkhold 1995

erschienen in Nimm mich Volley Nr. 5 am 20. Oktober 2001

Tag(s) : #Mein Leben als Fortuna-Fan
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